Analyse: Mann, Weib, Nest
Sterben die Deutschen aus? Iris Radischs Antwort auf männliche Gebärkampagnen.
Düsseldorf. Frank Schirrmacher beschwört in seinem finsteren "Methusalem-Komplott" die Apokalypse. Für den Mitherausgeber der FAZ steht fest: Schuld am Aussterben der Deutschen tragen die Frauen, weil sie sich unter Missachtung des Schöpfungsauftrages in die Arbeitswelt einmischen. Damit, glaubt Schirrmacher, fingern sie am Programm der Menschheit herum, lösen den "biologischen Gau" aus.
Nun antwortet die "Zeit"-Redakteurin Iris Radisch mit ihrem Buch "Die Schule der Frauen - Wie wir die Familie neu erfinden" (DVA, 14,95 Euro) auf Schirrmachers Untergangsszenario. Ihr Beitrag ist das bisher eindrucksvollste Beispiel dafür, dass das Debattenpendel in die andere Richtung schwingt - weg von den hysterischen Gebärkampagnen der vergangenen Jahre, hin zu der Erkenntnis, dass eine schrumpfende Gesellschaft nicht gleich dem Abgrund entgegentreibt. Hin zur Frage aber auch, wie sich das Prinzip "Männchen, Weibchen, Nest und Nachwuchs" neu organisieren muss.
Für Radisch schlagen die Demografie-Apokalyptiker die letzte Propagandaschlacht für eine Welt von gestern, in der die Pille Teufelszeug ist und die Diktatur über Frauen zum Maß aller Dinge erhoben wird. Schirrmacher und Co. betreiben nach Ansicht der Publizistin männliche Planspiele rund um die Mutti-kocht-Vati-arbeitet-Ehe, die nichts über die weibliche Wirklichkeit aussagen.
Wirklich hingegen erscheint ihr dieses Paradox: Die Hochleistungsgesellschaft verlangt einerseits den vollen Einsatz, der keine Zeit für Kinder lässt. Andererseits aber können die atemlosen Menschen noch so sehr das Bruttosozialprodukt steigern - verzichten sie deshalb auf Nachwuchs, kommen sie schließlich kollektiv ins Grübeln. Wozu die ganze Arbeit am Mega-Projekt Fortschritt, wenn in der Zukunft niemand mehr davon profitiert, weil kein Erbe da ist?
Fazit: Mit Kindern kommt die Moderne ins Stottern, ohne Kinder auch. Radisch präsentiert zwar keine schnelle Lösung, aber Perspektiven, die weit über die Forderung nach Krippenplätzen hinausgehen: Die Unternehmen müssen sich ändern, damit flexible Arbeitszeiten für Eltern Realität werden. Die Männer müssen sich ändern, damit sie sich nicht mehr regelmäßig aus dem Familienleben verflüchtigen. Und wir alle müssen uns ändern, damit der Leistungswahn nicht mehr Alleinherrscher unseres Bewusstseins bleibt. Für Radisch steht fest: Kinder machen glücklich, der 50-Stunden-Job plus Kinder jedoch nur bedingt. Da spricht die Karrierefrau und dreifache Mutter aus eigener Erfahrung.
Arbeitsmarkt: Teilzeitangebote und geringfügige Beschäftigung haben es immer mehr Frauen ermöglicht, erwerbstätig zu sein. Während die Erwerbstätigenquoten von Männern in Westdeutschland nach 1991 deutlich sanken, stiegen die der Frauen. Der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft begünstigte dies.
Einkommen: Das Einkommen von Frauen liegt in Deutschland bei gleicher Arbeitszeit 20 Prozent unter dem von Männern. Damit nimmt Deutschland unter den EU-Staaten einen der letzten Rangplätze im Hinblick auf die Angleichung der Einkommen ein.
Job & Familie: Deutschland kann sich - was die Erwerbsbeteiligung kinderloser Frauen betrifft - international gut behaupten, fällt aber im Ranking der Staaten erstaunlich weit zurück, wenn man prüft, wie stark sich Mütter mit Kindern aus dem Erwerbsleben zurückziehen. In Deutschland scheint also das Vorhandensein von Kindern die Erwerbsarbeit von Frauen stärker zu beeinträchtigen als in vielen anderen vergleichbaren Staaten.