Ausbrecher narren die Justiz
Münsteraner Häftlinge entkommen durch ein Oberlicht. Neue Vorwürfe gegen Ministerium wegen Missbrauchsfall in Düsseldorf.
Düsseldorf. Die NRW-Justiz kommt nicht zur Ruhe: am Dienstag brachen zwei Häftlinge aus der Strafvollzugsanstalt Münster aus, außerdem soll ein 17-Jähriger in der Düsseldorfer Ulmer Höh’ von einem Mithäftling vergewaltigt worden sein. NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) war zuletzt wegen ähnlicher Fälle in Aachen (Ausbruch) und Herford (Missbrauchsvorwürfe) in die Kritik geraten.
Die Münsteraner Ausbrecher hatten hatten am Dienstagmorgen das Gitter des Oberlichts einer Toilette aufgebrochen. Es handelt sich um einen Einbrecher (34) und einen Dieb (25). Von dem Flachdach der Werkhalle des Gefängnisses rutschten sie an einer Regenrinne herunter ins Freie. Wie es den Männern gelungen war, durch das Fenster in etwa 3,40 Meter Höhe zu flüchten, ist noch unklar. Beide gelten laut Justizministerium als nicht gewalttätig. Am Dienstagabend waren die Männer noch flüchtig.
Im November waren aus dem Gefängnis in Aachen die beiden Gewaltverbrecher Michael Heckhoff und Peter Michalski ausgebrochen und erst nach mehreren Tagen gefasst worden. Ihre Flucht ist womöglich durch Mithilfe eines Vollzugsbeamten möglich geworden, der wiederum schon vorher im Visier der Behörden stand, so der Verdacht der Ermittler.
Ganz Deutschland hatte die Flucht der bewaffneten Gangster verfolgt. Sie hatten unterwegs Autos samt Fahrer in ihre Gewalt gebracht, waren dann aber ohne Blutvergießen festgenommen worden. Die Opposition verlangte damals den Rücktritt von Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter.
Die neuerliche Flucht schreckte am Dienstag das Justizministerium auf. Die Sicherheitseinrichtungen in Münster würden nun ebenso überprüft wie die in Aachen, kündigte das Justizministerium an. Es gebe "Schwachstellen", so Müller-Piepenkötter. Die JVA Münster wurde im 19. Jahrhundert gebaut.
Parallel zu dem Ausbruch in Münster gibt es weitere Vorwürfe gegen die Justizministerium. Vor dem Düsseldorfer Amtsgericht wird derzeit gegen einen 21-Jährigen verhandelt, der im Jahr 2008 im Düsseldorfer Gefängnis Ulmer Höh’ einen 17-jährigen Mitgefangenen vergewaltigt haben soll. Der Angeklagte bestreitet allerdings die Tat. Gleichwohl hat das Gericht die Anklage zugelassen und den Prozess angeordnet. Die Anstaltsleitung hatte offenbar recht schnell von dem angeblichen Missbrauch erfahren.
"Wir erstatten bei jedem Verdacht auf Gewaltdelikte Strafanzeige", sagte JVA-Leiter Bernhard Lorenz. Würden zwei Häftlinge in einer Zelle untergebracht, gebe es zuvor eine Verträglichkeitsprüfung. So würden beispielsweise nie ein sehr dominanter und ein eher unterwürfiger Charakter gemeinsam eingesperrt. "Aber todsicher", räumte Lorenz ein, ist auch dieses System eben nicht."
Folter hinter Gittern war 2006 der Grund für den grausamen Tod eines Gefangenen im Jugendstrafvollzug in Siegburg. Er wurde damals von drei Mithäftlingen zu Tode gefoltert. Aktuell gibt es Ermittlungen wegen Foltervorwürfen in der JVA Herford. Dort bestreiten die Verdächtigen die Tat.
Die SPD im Landtag warf Ministerin Müller-Piepenkötter schwere Versäumnisse vor. "Sie hat das Parlament nicht von den Ereignissen in Düsseldorf informiert. Das ist nicht tragbar", sagte Fraktionsvize Ralf Jäger. "Das ist absurd. Der Fall steht als Verdachtsfall auf einer Liste, die dem Landtag schon lange vorliegt", so Justizsprecher Ulrich Hermanski.