Ausverkauf der armen Städte
Immer mehr NRW-Städte brechen unter ihren Schulden zusammen. Mit verheerenden Folgen, wie das Beispiel Wuppertal zeigt.
Wuppertal. "Die Stadt steht am Rande des Abgrunds." Diesen Satz verschickt Düsseldorfs Regierungspräsident Jürgen Büssow zurzeit bezirksweit an die Kämmereien der klammen Kommunen. Zuletzt mussten sich das die Solinger anhören, als der Regierungspräsident ihr Haushaltssicherungskonzept ablehnte.
Jedes Jahr kassiert er Dutzende Haushaltsentwürfe und Sparprogramme - und es werden immer mehr. Ein Drittel der NRW-Großstädte befindet sich in der sogenannten Haushaltssicherung. Das bedeutet: Seit Jahren können sie ihre Ausgaben nicht mehr mit Einnahmen ausgleichen und türmen Schulden über Schulden auf.
Neben Solingen droht Remscheid, Essen und Wuppertal innerhalb der nächsten drei Jahre die Überschuldung. Sie gehören dann faktisch den Banken. Die Folge: Kreisfreie Städte wie Wuppertal müssen gigantische Sparprogramme auflegen, um zumindest die Spitze des Schuldenbergs abzutragen.
In Wuppertal liegt ein solches Haushaltskonsolidierungskonzept seit dieser Woche vor. Es muss noch durch den Rat, wird aber schon jetzt als "Liste der Grausamkeiten" gehandelt. Tatsächlich ist die Sparliste eine Zäsur, die auf die Lebensqualität in der Stadt zielt.
Jetzt wird nicht mehr nur bei Zuschüssen und Straßenreparaturen geknapst. Wuppertal betreibt den Ausverkauf der lebenswerten Großstadt. Das Theater und fünf Bäder sollen geschlossen werden. Die Stadt verabschiedet sich von einem Premium-Gewerbegebiet, schickt Beamte in den Vorruhestand und geht mit dem Rasenmäher über das Sport- und Kulturangebot.
Was nicht niet- und nagelfest ist, soll weitgehend zu Geld gemacht werden - zum Beispiel die städtische Wohnungsbaugesellschaft. "Beim Sparen gibt es keine Tabus mehr", hatte Kämmerer Johannes Slawig (CDU) vor Offenlegung des Pakets klar gemacht.
Die Wuppertaler werden auch direkt in den Schuldendienst eingebunden. Sie sollen höhere Kindertagesstättenbeiträge und Eintrittspreise für den Zoo bezahlen. Die Stadt stellt zusätzliche Blitzer auf und kassiert mehr Geld fürs Parken. Unter dem Strich hofft sie so auf Einsparungen im Haushalts bis 2014 um 216 Millionen Euro. Eine Summe, die eine Stadt kaum spürbar entlastet, die mit fast zwei Milliarden Euro verschuldet ist.
Als Erfolg würde schon gewertet, wenn die Überschuldung zumindest hinausgezögert werden kann. Oberhausen und Duisburg ist das nicht gelungen, ihr Eigenkapital ist aufgebraucht. Oberhausen hat schon seit 1992 keinen ausgeglichenen Haushalt mehr und bereits 1999 das Musiktheater gestrichen, 112 Stellen in der Verwaltung abgebaut, Büchereien geschlossen, Gebühren und Steuern drastisch angehoben.
Gerettet hat es die Stadt nicht. Das jüngste Haushaltssicherungskonzept hat der Regierungspräsident abgelehnt. Einer weiteren Sparrunde verweigerte sich der Rat, der nun darauf wartet, dass in Oberhausen der Sparkommissar eingesetzt wird.
Passiert ist bisher nichts, denn auch Regierungspräsident Büssow ist klar, dass die Städte sich aus eigener Kraft nicht mehr aus dem Schuldensumpf ziehen können. Wenn die Sozialausgaben jahrelang doppelt so hoch sind wie die Gewerbesteuereinnahmen, stimmt etwas im System nicht. Auch nicht, wenn arme Städte Kredite aufnehmen müssen, um ihren Beitrag zum Solidarpakt Ost leisten zu können.
50 Oberbürgermeister und Kämmerer aus dem Ruhrgebiet und dem Bergischen fordern schon lange Hilfe von Bund und Land, deren Lasten-Verteilungspolitik mit verantwortlich an der Misere sei. Kernforderungen sind die Übernahme explodierender Sozialausgaben und ein Entschuldungsfonds, in den alle - auch die reichen Städte - einzahlen. Andernfalls, so Wuppertals Oberbürgermeister Peter Jung (CDU), "sparen wir uns zu Tode".