Bei Verspätung Geld zurück

Ein neues Gesetz stärkt die Rechte der Reisenden. Aber bei Verbraucherschützernüberwiegt die Skepsis.

Berlin. Wäre es nach Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) gegangen, dann würden gestrandete Bahnkunden schon jetzt entschädigt. Doch ihre vor einem Jahr geäußerte Hoffnung, das Gesetzgebungsverfahren bis Mitte 2008 abzuschließen, erfüllte sich nicht. Ein Jahr verging, bis sich die Koalition auf eine Regelung verständigen konnte. Gestern verabschiedete das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf, der auf den ursprünglichen Vorstellungen von Zypries aufbaut.

Ab 60 Minuten Verspätung gibt es 25 Prozent des Preises zurück, ab 120 Minuten 50 Prozent. Für den Nahverkehr gilt: Ist eine Verspätung von wenigstens 20 Minuten absehbar, kann der Pendler auch einen Fernzug nutzen. Nur wenn das Unternehmen die Verspätung nicht selbst zu verantworten hat und nicht vermeiden konnte, haben die Reisenden keinen Anspruch auf Entschädigung - das ist etwa der Fall, wenn ein Unwetter Störungen auslöst.

Bis zuletzt beharrten Verbraucherpolitiker der Opposition, aber auch der Union, der Verkehrsclub Deutschland und die Verbraucherzentrale auf einer schärferen Regelung. Sie möchten Bahnfahrer schon ab 30 Minuten Verspätung entschädigen. "Wer auf eine Verabredung 59 Minuten wartet, ist zurecht sauer", sagte der Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Gerd Billen.

Die verbraucherpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Julia Klöckner, hielt dem Koalitionspartner vor, das Ohr näher an der Bahn als am Kunden zu haben.

Die Entschädigung soll jedenfalls für die Verbraucher unproblematisch ablaufen. Der verärgerte Bahnkunde muss sich, wenn er endlich an seinem Ziel ankommt, nicht erneut am Schalter anstellen oder vom Schaffner die Verspätung bestätigen lassen. Ein kurzes Schreiben an die Bahn genügt.

Ein Problem könnten indes Vielfahrer mit der Bahncard 100 bekommen. Sie haben grundsätzlich keine Fahrkarte und können somit auch nicht unmittelbar nachweisen, dass sie den verspäteten Zug benutzt haben. Um sicher zu gehen, riet Zypries, das Fotohandy zu zücken und zur Beweissicherung die angezeigte Verspätung zu fotografieren.

Wenn ein Kunde seine versprochene Leistung nicht erhält, kann dieser sein Geld zurückfordern. Diese Spielregel gilt überall auf dem kapitalistischen Markt - nur nicht bei der Bahn, wo dem geprellten Fahrgast bisher nur die Rolle des Bittstellers bleibt. Pendler etwa, die auf ihren heillos verspäteten Regionalzug warten, können allein auf gnädiges Bahnpersonal hoffen, das den nächsten ICE für die Gestrandeten freigibt.

Gut also, dass das Fahrgastgesetz künftig den Bittsteller in den Stand des Kunden erhebt, der mit seinem Ticket-Kauf auch Rechte erwirbt.

Dennoch teilt das Regelwerk das Schicksal mancher Züge: Es bleibt auf halber Strecke stecken. Denn erstens hat der Kunde, der mit einer mehr als zweistündigen Verspätung sein Ziel erreicht, sein gekauftes Produkt schlicht nicht erhalten. Ihm müssten nicht, wie vorgesehen, 50 Prozent des Fahrpreises erstattet werden: Er müsste sein gesamtes Geld zurückbekommen.

Und zweitens räumt das Gesetz der Bahn die Möglichkeit ein, sich regelmäßig mit dem Verweis auf höhere Gewalt aus der Verantwortung zu stehlen. Stellt sich die Frage: Ist es höhere Gewalt, wenn in Wanne-Eickel ein Baum aufs Gleis fällt und danach das gesamte deutsche Streckennetz für Stunden durcheinandergerät? Oder hängt ein solches Chaos nicht eher mit schlechtem Krisenmanagement der Bahn zusammen?

Weil letzteres nicht nachzuweisen ist, wird die Bahn den Baum gern zum Schuldigen erklären - und den Kunden zum Dummen.

christoph.lumme@wz-plus.de