Jean-Claude Juncker: Kleines Land, großer Europäer

Jean-Claude Juncker verfügt über die schärfste Zunge des Kontinents – und erhielt dafür jetzt den Solinger Ehrenpreis.

Solingen. Brandenburgisches Konzert, schwarze Anzüge, würdige Worte und dutzende Honoratioren in der ersten Reihe: Es herrscht Feststimmung an diesem Abend im Solinger Theater.

Nur der Mann, dem die Feierlichkeit gilt, kann sich nicht immer auf Johann Sebastian Bach konzentrieren und auch nicht auf die Lobeshymnen, die auf ihn niedergehen. Denn in Amerika nimmt gerade ein schwarzer Montag seinen Lauf, weswegen jetzt auch bei der Europäischen Zentralbank der Teufel los ist.

Gerade hat Laudator Lothar Späth gesagt, dass Juncker "ein Glücksfall für Europa" sei, da vibriert die Finanzkrise in der Jackettasche des Luxemburger Premier. Er zieht den silbrigen Quälgeist aus dem Anzug, seine Gesichtszüge spannen sich; er presst die randlose Brille fester auf die Nase, nickt, hört zu, bewegt die Lippen, drückt schließlich eine Taste und versenkt das Gerät wieder in seinem Anzug.

Was es am Mobiltelefon zu besprechen gab, erläutert Jean-Claude Juncker später in seiner Rede. Eigentlich war es seine Absicht, heute Nacht in Solingen zu bleiben, in dieser Stadt, die ihm soeben ihren Ehrenpreis "Schärfste Klinge" verliehen hat.

Leider wird nichts daraus. In zwei Stunden muss er in Brüssel sein, weil man dort mit der Bankenkrise ringt und er nun einmal der Eurogruppe vorsitzt, dem Gremium, das die Steuer- und Wirtschaftspolitik der Eurozone koordiniert.

Aber die Aussicht auf eine nächtliche Krisenkonferenz raubt ihm nicht die festliche Nonchalance. Es ist diese chronische Gelassenheit, die ihn zum besten Fürsprecher des Kontintents erhebt. Keiner kann das so gut wie der Regierungschef des kleinsten EU-Landes: für die demolierte europäische Idee werben, die Menschen überzeugen, dass Europa mehr ist als eine Horde nettozahlender Bedenkenträger, mehr als eine Stanzmaschine, die aus nationalen Eigenarten normierte Standards fabriziert.

Und dann der Euro, auf den er nichts kommen lässt: "Die Professoren wundern sich heute noch, dass etwas in der Praxis funktioniert, was in der Theorie nicht aufgeht", sagt Juncker. "Der Euro und ich", fügt er hinzu und kneift hinter seiner Brille kurz ein Auge zusammen, "wir beiden sind doch die einzigen Überlebenden von Maastricht."

Juncker genießt in Solingen seine Rolle als Alleinunterhalter. Auf dem europäischen Parkett allerdings sind seine Pointen und Bonmots, die er wahlweise in englischer, französischer, deutscher oder luxemburgischer Sprache vorträgt, nicht als Selbstzweck zu haben. Scharfsinnige Analysen im Gewand der Ironie macht ihn zum gefragten Krisenmanager, der selbst die härtesten Europa-Skeptiker zuweilen milde stimmt.

Wenn es sein muss, kann er den Spott auch mal beiseite lassen und das aussprechen, was sich kein anderer traut. So giftete er am Tag, als die USA ihre ersten Bomben auf Bagdad warfen und die EU-Regierungschefs wortreich um sich selbst trudelten, er habe "in 20 Jahren Europapolitik noch nie so viel Scheinheiligkeit" erlebt.

Jean-Claude Juncker ist jetzt 53 Jahre alt und seit Ewigkeiten im politischen Geschäft. Mit 28 zog der Sohn eines Stahlarbeiters als Staatssekretär ins Luxemburger Arbeitsministerium ein, sieben Jahre später ernannte ihn das Großherzogtum zum Finanzminister - ein Amt, das er bis heute behalten hat.

"Aus Faulheit" sei er Premier und Finanzminister in einer Person. "Wieviel Zeit in anderen Ländern doch draufgeht, weil die Finanzminister mal wieder mit ihren Premiers lamentieren", sinniert Juncker. "Da rede ich doch lieber mit mir selbst."