Contergan: Nur eine einzige Tablette
So einzigartig der Pharmaskandal war, so sehr erschüttert derzeit der Film von Adolf Winkelmann: Manager contra Opfer.
Düsseldorf. Deutschland, Ende der fünfziger Jahre. Es geht wieder aufwärts, auch in den eigenen vier Wänden. Wie Vera Wegener (Katharina Wackernagel) in dem zweiteiligen Fernsehfilm "Contergan" (ARD, 7. und 8. November, 20.15 Uhr) erfreut man sich an der neuen Waschmaschine, ist stolz aufs frisch gekachelte Badezimmer und schläft vor dem Testbild des ersten Fernsehers ein.
Die Kehrseite der Wirtschaftswunderwelt, die hier mit zahlreichen Ausstattungsdetails besticht, wird in einer drastischen Szene nach der Geburt von Veras Tochter Katrin vorgeführt. "Sie haben leider ein verkrüppeltes Kind", teilen Arzt und Schwester den Eltern mit vorwurfsvollen Mienen mit. "Dafür gibt es heute Heime, da kann man es ganz bequem abgeben", rät der Arzt. Contergan-Kinder wurden - knapp 20 Jahre nach dem Euthanasie-Programm der Nazis - immer noch am liebsten versteckt und weggesperrt.
Daran mit der gebotenen Schärfe zu erinnern, ist "Contergan" eindringlich gelungen. Selten hat ein Fernsehfilm derart viel (Akten-)Staub aufgewirbelt. Erst das Bundesverfassungsgericht hat am 29. August grünes Licht für die nunmehr um ein Jahr verzögerte Ausstrahlung gegeben.
Der Konflikt kam wohl nicht von ungefähr: Regisseur Adolf Winkelmann und Drehbuchautor Benedikt Röskau führen in die historische Eventfilmerei des Fernsehens einen deutlich kritischeren Ton ein. "Contergan" hat humorvolle, bewegende Momente, bleibt aber in der Sache unversöhnlich.
Die Grünenthal-Manager sind ein unsympathischer Haufen von Befehlsempfängertypen, der Betriebsdirektor (Matthias Brandt) ein rückgratloser Mitläufer. Selbst den zynischen Grünenthal-Anwalt Dr. Naumann (stark: August Zirner) widert deren Neigung an, sich persönlich für nichts verantwortlich zu fühlen. Gestalten des Zeitgeists sind das, keine Abbilder realer Figuren. Den Bezug zum Nationalsozialismus lässt Winkelmann in einigen Szenen anklingen, ohnehin handelt der ganze Film von verdrängter Schuld. Gründe, schlecht zu schlafen, gab es damals wahrlich genug.
Bis vors Bundesverfassungsgericht sind das Aachener Pharma-Unternehmen Grünenthal und der Siegener Anwalt Karl-Hermann Schulte-Hillen im Streit um den vom WDR und der Kölner Firma Zeitsprung produzierten, fünf Millionen Euro teuren Zweiteiler gezogen. Regisseur Winkelmann ließ aufgrund der Verfahren eine Szene nachdrehen, in der der Firmenchef Grünenthals seinen Anwalt ausdrücklich darauf hinweist, dass der engagierte Privatdetektiv nach Recht und Gesetz handeln müsse - dies ist der einzige Erfolg, den das Unternehmen nachweislich durchsetzen konnte.
Pharmaskandal Drei Jahre dauerte das Verfahren gegen Mitarbeiter des Aachener Unternehmens Grünenthal, das 1957 das damals begehrte, weil rezeptfreie Schlafmittel Contergan auf den Markt gebracht hatte. Es war der größte Pharma-Skandal der Nachkriegsgeschichte. Tausende von Neugeborenen, die genaue Zahl ist bis heute umstritten, kamen mit Missbildungen und verkümmerten Gliedmaßen zur Welt, ehe das Medikament im November 1961 vom Markt genommen wurde. 1970 wurden die Strafverfahren wegen geringer Schuld eingestellt, außergerichtlich wurde eine Entschädigung von 100 Millionen D-Mark vereinbart.