Das Phänomen Tokio Hotel

Sie werden meist nur als Teenie-Schwarm bezeichnet, dabei sind Bill und Tom Kaulitz weltweit erfolgreich.

Oberhausen. Er fürchtet um sein Leben und hat Angst vor Anschlägen. Daher ist Tokio-Hotel-Sänger Bill Kaulitz (20) nie ohne Leibwächter unterwegs. "Ich glaube, wir sind gefährdet", sagt Bill, dessen hageres Gesicht mit den geschminkten Augen Millionen Menschen kennen. Ein normales Leben ist für den 20-Jährigen längst unmöglich geworden.

Am Freitagabend tritt die Band in der Arena Oberhausen auf. Neben Hamburg ist das ihr einziges Deutschlandkonzert während der "Humanoid Europa Tour”. Dass es sich die Band um die Zwillinge leisten kann, nur zwei Konzerte in Deutschland zu geben, zeigt, dass sie längst zu einem weltweiten Phänomen geworden ist. Inzwischen hat die Band auch die USA erobert. Dabei ist Amerika ein für Europäer derart harter Markt, dass dort sogar Robbie Williams kaum bekannt ist.

Die Kaulitz-Zwillinge haben mit Tokio Hotel alle wichtigen deutschen, nord- und lateinamerikanischen Preise gewonnen, hinzu kommen europäische MTV-Music-Awards. Musik-Experten, Eltern und "TH-Hasser" (so nennen sich die Gegner von Tokio Hotel) staunen, dass die Teenie-Band zu einem weltweiten Phänomen wurde.

Wie ein Monsun hat Frontmann Bill mit seinem Gesang unüberwindbar geglaubte Sprachbarrieren überwunden, so dass Fans in Frankreich und anderswo die Goethe-Institute stürmen - nur um Deutsch zu lernen.

Der Erfolg der Band hat zwei Gründe: Zunächst weckte die Band über ihr Aussehen die Aufmerksamkeit. Denn Tokio Hotel füllt optisch mit seiner Mischung aus androgyner Manga-Diva (Bill), Skater (Tom), Rocker (Georg) und Knuddelbär (Gustav) eine im Pop-Mainstream unbesetzte Nische. Der andere Grund für den Erfolg ist der Gesang von Tokio-Bill, der über das singt, was die Fans bewegt: Gefühle, Liebe, Liebeskummer, Ablehnung und Auflehnung.

Mit seinem leicht nöligen Klang in der Stimme ist er der Gegenpol zu den harten Gitarren-Riffs der Band. Dadurch gehen seine Texte nicht unter, sondern prägen sich umso mehr ein. Tokio Hotel hat es verstanden, dass man nicht schreien muss, um in rockigen Liedern starke Gefühle auszudrücken.

Der Aufstieg beginnt 2003, als ein Musikproduzent Bill Kaulitz bei der Sat.1-Sendung "Star Search" sieht. Der 14-Jährige fliegt zwar schnell raus, der Produzent ist von dem Potenzial des Magdeburgers jedoch begeistert und fördert seine Band so, dass sie 2005 einen Vertrag von Universal bekommen.

Mit riesigem Werbeaufwand und massiver Unterstützung der Zeitschrift "Bravo" wird die Band aufgebaut. Das Zentralorgan der zahnspangentragenden Jugend hat erkannt, dass man nach den Erfolgen der Gruppen Juli und Silbermond mit Tokio Hotel auch mit Rockmusik bei der Generation der Acht- bis 16-Jährigen landen kann.

Zwei Jahre drillt Universal die Vier: Choreografie und Gesangstraining - jeden Tag. "Ich habe noch mit keiner Gruppe gearbeitet, die so diszipliniert ist", sagt Tourveranstalter Alex Richter. Er ist begeistert von Bills Star-Qualitäten.

Auf ihrer Tour will sich die Band von ihrem Teenie-Image trennen. "Wir richten unsere Musik ja nicht auf eine bestimmte Zielgruppe aus. Eine 15-Jährige kann uns genauso gut hören wie eine 40-jährige Mutter - solange sie beide einen guten Musikgeschmack haben", sagt Bill Kaulitz. Einen großen Namen haben sie schon, jetzt will Tokio Hotel auch bei den Erwachsenen mitspielen.