Entführung: Hetze gegen Maddies Eltern

Vor 100 Tagen verschwand die vierjährige Madeleine. Noch immer gibt es keine heiße Spur.

Lissabon/Praia da Luz. Das kleine Dorf Praia da Luz an der portugiesischen Algarve war ein verschlafenes Dorf. Doch seit die vierjährige Madeleine McCann heute vor 100 Tagen, am 3. Mai, auf rätselhafte Weise aus dem elterlichen Hotel-Appartement verschwand, ist es mit der Ruhe vorbei. Die McCanns waren damals zum Abendessen gegangen - als sie zurückkamen, lag "Maddie" nicht mehr im Bett. Seitdem durchkämmen TV-Teams den Ort und belagern das Ferienhäuschen, das die McCanns bezogen haben und in dem sie ausharren wollen, "bis wir unsere Tochter wiederhaben". Die Kripoteams tauchen immer wieder im Hotel und bei den McCanns auf, um doch noch eine Spur zu finden. Doch die Ermittlungen scheinen in einer Sackgasse zu stecken.

Die Bewohner des Ortes haben längst die Lust verloren, auf Reporterfragen zu antworten. Türen und Fensterläden gehen zu, wenn Kameras auftauchen. Die Stimmung wende sich zunehmend gegen die Familie McCann, sagt Francisco Pagarete. Er ist der Anwalt jenes britischen Immobilienmaklers, der anfangs von der Polizei als Kinderschänder verdächtigt, von britischen Medien öffentlich hingerichtet wurde, ohne dass bis heute etwas gegen ihn vorliegt. "In Praia da Luz sagt man, die McCanns sollen verschwinden", behauptet Pagarete. "Sie geben dem Ort nur einen schlechten Namen." Kate McCann betonte in einem Interview, sie ließen sich nicht aus Portugal wegmobben.

Doch nicht nur in dem Ort, sondern in ganz Portugal hat sich der Wind gegen das Ärzte-Ehepaar gedreht. Ein Paar, das nach dem Verschwinden ihrer vierjährigen Tochter die größte private Vermisstenkampagne ankurbelte, die die Welt je gesehen hat. Fußballstar David Beckham, Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling und sogar Papst Benedikt unterstützten die Suchaktion, die bisher fünf Millionen Euro an Spenden einbrachte. Damit wurden die private Fahndung und ein Team von Anwälten, Werbeprofis und sogar ein Pressesprecher bezahlt. Die Eltern wollen nun auch helfen, einen neuen Videokanal über vermisste Kinder auf der Internetplattform You Tube zu installieren.

In den letzten Tagen begannen portugiesische Zeitungen, sich gegenseitig mit angeblichen Ermittlungsergebnissen zu überbieten: Neue Spuren, möglicherweise Blut, seien im Hotelzimmer gefunden worden. Die Aussagen der Eltern über die letzten Stunden vor dem Verschwinden Madeleines seien widersprüchlich. Kurz: Die Eltern könnten etwas mit dem Verschwinden ihrer Tochter zu tun haben. Die McCanns weisen die Verdächtigungen zurück. "Wir sollen unsere Tochter umgebracht haben?", fragte Vater Gerry McCann im Gespräch mit einer portugiesischen Zeitung. "Das ist lächerlich und unglaublich empörend."

Seit 100 Tagen klammern sich die Eltern der verschwundenen Madeleine an die Hoffnung, dass ihre Tochter noch lebt. Sie setzten eine weltweite millionenschwere Suche in Gang, die sich nun gegen sie zu wenden scheint. Plötzlich stehen die McCanns als Verdächtige da. Beweise gegen sie existieren aber nicht. Daher sind die Vorverurteilungen nicht statthaft. Ihnen kann höchstens angekreidet werden, Maddie im Hotelzimmer unbeaufsichtigt zurückgelassen zu haben.

Damit bleibt der Fall Madeleine ein Drama um ein Kind. Eine Vermisstentragödie wie es sie - auch das muss gesagt werden - jedes Jahr tausende gibt.