Reportage Die fünf Morde der Brunssummerheide
Brunssum · Ferienpark, Naturschutzgebiet – und Fundort von fünf Leichen. Der Fall von Nicky Verstappen machte die Brunssummerheide 2018 international bekannt, doch auch davor und danach war sie Tatort. Ein Ortsbesuch.
Am Ende des Schaapskooiwegs liegt das Restaurant Schrieversheide. Es ist eine Art Besucherzentrum; neben einer Stärkung, die man je nach Wetterlage drinnen oder auf einer großen Terrasse zu sich nehmen kann, bekommt man hier Informationen über die Brunssummerheide und kann sich das etwa 500 Hektar große Gebiet aus der Vogelperspektive anschauen. Von hier aus starten fünf ausgewiesene Routen durch die Heide. Das Restaurant spielt außerdem in vier der fünf Mordfälle eine Rolle, die in dieser Heidelandschaft ihren Fußabdruck hinterließen.
Die Brunssummerheide in der niederländischen Provinz Limburg liegt zwischen Brunssum (im Norden) und Landgraaf (im Süden), im Osten geht sie über in die Teverener Heide im Kreis Heinsberg. Fährt man über die Landesgrenze an der nördlichen Seite des Naturschutzgebietes entlang, zieht zunächst ein Golfclub an einem vorüber, dessen brauner Rasen mit Sprinkleranlagen gewässert wird. Dann wird es militärisch: In Brunssum befindet sich ein Nato-Hauptquartier, gut abgesichert durch zahlreiche Zäune, eine Leuchtschrift weist auf einen Zugang nur für „ID-Holder“ (Ausweisinhaber) hin, „Visitors“, Gäste also, sind an diesem Tag offenbar gar nicht zugelassen, das Schild bleibt ausgeschaltet. Vor dem Eingang stecken auf der Insel des Kreisverkehrs drei überdimensionierte Schwerter im Boden. Ein skurriles Kunstwerk von John Philips, das die Zusammenarbeit innerhalb der Nato symbolisieren soll. Auf dem Weg zum westlichen Zugang der Heide folgt der Eingang zum Ferienpark, der Urlaub im Grünen inklusive Schwimmteich, besagtem Golfclub und Kinderbauernhof verspricht.
An diesem Augusttag lässt die Sonne auf sich warten, bei Ankunft an der Brunssummerheide ist der Himmel wolkenverhangen. Auf dem Weg in die Heide bleibt der Blick jedoch zunächst am Boden hängen. Über den Asphalt des Schaapskooiwegs, auf den angelegten Wegen und Trampelpfaden krabbeln große Waldameisen unablässig durch die Heide; das Naturschutzgebiet ist ein einziges gigantisches Straßennetz.
Die Opfer führten in der Nähe des Restaurants ihre Hunde aus
Der Fundort der beiden Leichen, die am 7. Mai diesen Jahres von Spaziergängern entdeckt wurden, ist nicht weit von dem Restaurant Schrieversheide entfernt. Auf Nachfrage zeigt eine hilfsbereite Kellnerin aus dem Fenster in Richtung Süden. „Man kann es fast von hier aus sehen“, sagt sie, und dann: „Es war schrecklich.“ Die junge Frau erinnert sich gut an diesen Tag. Es war ein Dienstag, sie habe hier gearbeitet, am späten Vormittag sei von ihrem Arbeitgeber die Nachricht gekommen, dass gerade etwas passiert sei: Zwei Menschen seien erstochen worden, der Mörder auf freiem Fuß. „Wir haben hier alles dicht gemacht“, sagt sie, „die Türen, die Fenster. Die Besucher hätten aber jederzeit gehen können, wenn sie gewollt hätten.“
Ihren Namen will die Frau lieber nicht in der Zeitung lesen, schließlich kenne hier in der Gegend jeder jeden. Die Ereignisse von vor drei Monaten berühren sie sichtlich, auch jetzt noch. „Ich bin fast jeden Tag die letzte Person, die hier ist. Da fühle ich mich oft unwohl.“ Nachts sei die Heide kein schöner Ort; aus der umliegenden Gegend kämen oft Leute her, denen sie lieber nicht begegnen würde. Erlaubt ist der nächtliche Besuch eigentlich nicht, laut einer Tafel am Eingang ist der Zugang zur Heide nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gestattet.
Ob die Gäste nach dem Fund der zwei Leichen ausgeblieben seien? „Ja, für drei bis vier Wochen war es sehr still“. Doch dann seien die Spaziergänger, Wanderer und Touristen wiedergekommen. „Die Leute vergessen schnell.“
Auch heute sind Besucher da, viele sind es trotz der Ferienzeit aber nicht. Auf dem Parkplatz stehen Autos mit niederländischen, Aachener und Kölner Kennzeichen. Unterwegs zum Tatort sieht man die dazugehörigen Menschen allerdings nicht. Stattdessen Eichen, um die Absperrband gewickelt ist, auf dem vor Eichenprozessionsspinnern gewarnt wird. Auch ein Schild, das einen im Abenteuerwald willkommen heißt - wo Kinder sich frei im Wald bewegen und Hütten bauen können. Nach ungefähr 600 Metern lichtet sich das Wäldchen und man stößt auf den Kamperheideweg - ein breiter, heller Weg. Etwa 200 Meter von einem zweiten Parkplatz entfernt standen hier am 7. Mai Dutzende Einsatzkräfte. Ein Spaziergänger hatte die Leiche einer Frau entdeckt, kurze Zeit später fand man rund 100 Meter entfernt einen toten Mann, beide waren mit ihren Hunden unterwegs. Sie sollen durch Messerstiche ermordet worden sein. Der mutmaßliche Täter wird einen Tag später festgenommen: Thijs H., 27 Jahre alt. Die Polizei hält ihn zudem für dringend tatverdächtig, drei Tage zuvor eine 56-jährige Frau in Den Haag getötet zu haben. An seinem ersten Prozesstag gibt er die drei Morde zu. Er kommt aus Brunssum, lebte zur fraglichen Zeit aber in Den Haag.
An einem Baum seien in den Tagen danach Blumen für die Toten abgelegt worden, erzählt eine ältere Dame, die ihre zwei Hunde ausführt. Sie kannte die 63-jährige Frau, die dort ermordet wurde. Weiter möchte sie nicht darüber reden, denn jetzt müsse die schlimme Tat soweit vergessen werden, dass man in den Alltag zurückfinde. Fünf weitere Hundebesitzer sind unterwegs, am Kamperheideweg beginnt das Freilaufgebiet. Auch die Familie von Thijs H. soll einen Hund besitzen, mit dem er in Brunssum ab und an spazieren ging.
Die Tat ruft Erinnerungen an den Fall von Nicky Verstappen wach, der vor 21 Jahren während eines Sommercamps in der Heide verschwand und dessen Leiche dann am Rande des Gebiets gefunden wurde. Das Denkmal für Nicky Verstappen befindet sich im östlichen Teil der Heide. Der Weg, der dorthin führt, ist eine sommerliche Idylle: Über die Wiesen schweben Distelpollen, Grillen zirpen, ein Specht trommelt im Wald. Am Denkmal selbst ist es etwas stiller. Der schwarze Stein ist wieder vollständig hergestellt, nachdem er im April - nicht zum ersten Mal - zerstört worden war. „Gegen sinnlose Gewalt“ steht darauf. Es ist nicht nur das Denkmal, das an den Elfjährigen erinnert, an den umstehenden Bäumen sind Kränze und Schmetterlinge befestigt. Auch anklagende Worte stehen dort, geschrieben in der Zeit, als noch Unklarheit herrschte. Erst vergangenes Jahr, 20 Jahre nach der Tat, nahm die Polizei den mutmaßlichen Täter Jos B. fest, dessen Prozess im September 2018 begann. Er bestreitet die Tat. Am 27. August werden die Beamten zum Ortstermin in die Brunssummerheide kommen, ein Teil des Geländes wird dann für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sein. Das Denkmal befindet sich in der Nähe des Ortes, an dem Nickys Leiche am 11. August 1998 gefunden wurde, nahe dem Tannenwäldchen, wo nun Birken wachsen.
Jos B., der Tatverdächtige, stammt aus dem etwa 13 Kilometer entfernten Simpelveld. Er war kein Fremder in der Heide. Damals nicht und anscheinend auch nicht in den Jahren vor seiner Verhaftung. Die junge Kellnerin erinnert sich, dass er oft Gast im Restaurant Schrieversheide gewesen sei. Sie habe ihm häufiger Kaffee serviert.
Prostituiertenmorde in Limburg – zwei Tote werden in der Brunssummerheide gefunden
Nicky Verstappen war nicht das erste Opfer in der Heide. Bereits 1992 wurde eine Tote in der Brunssummerheide gefunden: Marina Denzler, eine Deutsche, die in Heerlen als Prostituierte arbeitete und drogenabhängig gewesen sein soll. Sie war 32 Jahre alt, als sie nach Angaben der Polizei „sehr gewaltsam“ ums Leben gebracht wurde. Am 12. Juli 1992 wurde sie zum letzten Mal lebend gesehen, am 13. Juli fand man ihre Leiche am Schaapskooiweg, an dem das Restaurant Schrieversheide liegt.
Auch Ilona Quaedflieg, ebenfalls Prostituierte und drogenabhängig, wurde tot in der Heide entdeckt. Die 34-Jährige war am 25. Juli 2001 von ihren Eltern als vermisst gemeldet worden, am 5. Oktober fand man ihre Leiche im nördlichen Teil der Brunssummerheide an der Ouverbergstraat.
Die beiden sind nur zwei der Opfer in einer Reihe von Prostituiertenmorden zwischen Juli 1989 und Mai 2005 in Limburg. Die Polizei konnte die Fälle bisher nicht aufklären. Ein Tatverdächtiger stand 2007 vor Gericht, aufgrund unzureichender Beweislage wurde er jedoch lediglich für einen Mordversuch an einer Prostituierten in Valkenburg verurteilt. In diesem Jahr veröffentlichte die Polizei Limburg nun Bilder und Informationen zu den Fällen in einem sogenannten Coldcase-Kalender - in der Hoffnung, neue Hinweise für die Aufklärung der Morde zu bekommen.
Diese Kalender mit ungeklärten Fällen werden unter anderem in Gefängnissen verteilt, sie waren aber auch für andere Interessenten zugänglich. Bislang seien zu Marina Denzler und Ilona Quaedflieg drei Hinweise eingegangen, denen die Ermittler nun nachgingen. Ein Urteil hat es bisher in keinem der fünf Heidemorde gegeben.