Adventszeit: Lauter Konsumrausch statt stiller Erwartung
Ab sofort bereiten wir uns auf Weihnachten, auf die Ankunft Christi, vor. Wenn uns Konsum, Lärm und Hektik dafür Zeit lassen.
Düsseldorf. Und plötzlich ist nichts mehr, wie es war: Jedes Jahr gerät unsere vertraute Welt Ende November/Anfang Dezember kräftig aus den Fugen: Mächtige Lichterketten machen die langen Nächte zum Tag, musikalische Endlosschleifen bedrängen unsere Ohren, Glühwein, Geschenkkaufangebote und anderes mehr locken zum besinnungslosen Konsumrausch. Lautstärke statt Stille, Hektik statt Muße, Helligkeit statt Dunkelheit. Kurz: Es ist Advent.
Spurensuche: Das Wort „Advent“ kommt von dem lateinischen „adventus“ und bedeutet Ankunft.. In dieser Zeit, erklärt der Pressesprecher im Bistum Essen und Co-Autor eines katholischen Lexikons, Ulrich Lota, „bereiten wir uns in Ruhe auf etwas Schönes, das Fest der Geburt Christi, vor“. Deshalb gehört dazu auch eigentlich das Fasten. Soweit die Vorgaben der Kirche.
In der Praxis „ist Weihnachten vorbei, wenn Weihnachten anfängt“, fasst Helmut Loos das ganze Advents-Dilemma zusammen. Der Musikwissenschaftler an der Universität Leipzig weiß um den Bedeutungsverlust des Advents in der säkularen Gesellschaft, die im Herbst in den Spekulatius beißt, Weihnachtslieder im November mitsummt und pünktlich zum Fest den gleichnamigen Markt — eigentlich ein Adventsmarkt — bereits wieder abbaut. „Das ist kein Advent.“
Starke Worte findet auch Theologe, Psychiater und Buchautor Manfred Lütz: „Die Konsumindustrie hat die christliche Weihnachtszeit erobert und komplett kernsaniert. Und die Weihnachtsmänner, ein heidnisches Coca-Cola-Produkt, fungieren als Abrissbirnen. Dem Fest wird der Ernst genommen.“ Die moderne Gesellschaft hat dem christlichen Advent den Rücken gekehrt.
Den findet man entsprechend nur noch in der Kirche: Hier wird die dunkle und karge Zeit „mit jeder Kerze am Adventskranz ein Stück weit heller und greifbarer, bis der Baum an Weihnachten, dem Lichtfest, erstrahlt“, so Helmut Loos. Hier werden Adventslieder wie „Macht hoch die Tür“ und keine Weihnachtslieder wie „Ihr Kinderlein kommet“ gesungen: „Es geht um die Idee der Erwartung. In der Liturgie heißt es immer wieder „hodie“, „heute“, womit der Gedanke der Erwartung des Festereignisses gemeint ist.“
Diese „wartende Situation aber“, so Manfred Lütz, „fällt heute völlig weg“ zugunsten eines „ewigen Feierns“. Weshalb sich Lütz Weihnachtslieder verbittet und in dem christlichen Krankenhaus in Köln, in dem er arbeitet, dafür sorgt, dass der Weihnachtsmann an der Pforte verschwindet: „Christen sollten auf ihre Traditionen Wert legen und darüber reden.“
Und Loos holt den Tannenbaum erst zwei Tage vor dem Fest ins Haus, um ihn so lange wie möglich dort zu behalten, wenn er es auch, der örtlichen Müllabfuhr wegen, nicht mehr wie früher bis Mariä Lichtmess schafft.
Kirchenmann Ulrich Lota wiederum ringt um seine persönliche Balance zwischen hektischer Jahresendbetriebsamkeit einerseits und dem Bemühen, in dieser Zeit bewusst zur Ruhe zu kommen, andererseits. Es gehe nicht darum, den Zeigefinger zu heben und den Spaß zu verderben, vielmehr müsse jeder für sich das richtige Maß finden. Zum Beispiel könne man beim Geschenkekauf auch mal an die Menschen in der Nähe denken, die da nicht mitmachen können.
Sein Rat: „Wenn wir erklären können, warum wir Weihnachten feiern und uns im Advent darauf vorbereiten, wenn der Sinn des Festes nicht verloren geht“, schmunzelt er, „dann dürfen wir auch Spekulatius essen“.