Die Cyber-Bettler: Almosen übers Internet
Madrid (dpa) - Auf den ersten Blick wirken sie wie andere Obdachlose, die ein Schicksalsschlag auf die Straße verbannt hat. Doch dann fallen die vier Pappschilder ins Auge, die Lyndon Owen und José Manuel Calvo vor sich auf den Boden gestellt haben.
„Für Bier“, „für Wein“, „für Whiskey“, „für den Kater“, ist darauf zu lesen. Viele Passanten bleiben kurz stehen und lächeln. „Zumindest sind wir ehrlich“, ruft ihnen dann José Manuel zu. „Und dass wir Sie zum Lachen gebracht haben, ist das nicht einen Euro wert?“, fügt er charmant hinzu. Die Münzen, die viele dann vor das Pappschild ihrer Wahl werfen, sind die Antwort auf seine Frage.
José Manuel bedankt sich höflich. „Besuchen Sie unsere Website!“, empfiehlt er noch. Es klingt wie ein Witz, aber die beiden haben tatsächlich ihre eigene Seite im Internet: www.lazybeggers.com. Dort nennen sie sich „die faulen Bettler“ und geben einen Einblick in ihr Leben auf der Straße. Aber nicht nur das: Über den Bezahldienst Paypal können ihnen dort auch Almosen auf ihr Konto überwiesen werden. „Wir sind Bettler des 21. Jahrhunderts“, sagt Lyndon der Nachrichtenagentur dpa in Madrid. Den Schreibfehler in der Internetadresse - Bettler heißt auf Englisch „beggar“ - erklärt er so: „Der Kumpel, der uns die Seite eingerichtet hat, war so betrunken, dass er die Buchstaben nicht mehr klar erkennen konnte.“
Aber nicht nur ihr Cyberauftritt unterscheidet die beiden von anderen Obdachlosen, denn sie leben freiwillig auf der Straße. Lyndon Owen ist Informatiker. Der 37-jährige Waliser verdiente in London als IT-Spezialist gutes Geld. Doch der Arbeitsstress wurde ihm zu viel. „Ich habe eines Tages meinen Rucksack gepackt, meine Wohnung abgeschlossen und bin abgehauen“, erzählt er, während er sich eine Zigarette dreht. Auf seinem Schoß liegt eine Ausgabe des „Guardian“. Per Anhalter reiste er über Frankreich bis Südspanien, immer der Wärme nach.
Auf einer Parkbank in Granada traf Lyndon auf José Manuel Calvo. Der 55-Jährige stammt von den Kanarischen Inseln und hatte auch eines Tages genug von seinem gutbezahlten Job als Fachmann für Solaranlagen. „Auf Teneriffa arbeitete ich für eine Firma, die 600 000 Euro im Jahr umsetzte. Als Abteilungsleiter hatte ich acht Untergebene.“ Das Leben habe er jedoch nicht genossen, ergänzt der äußerst gebildet wirkende Hobbydichter. Also ließ er seine Frau und seine Söhne (heute 22 und 33 Jahre alt) zurück und begann, durchs Land zu tingeln. Seit acht Jahren sind er und Lyndon gemeinsam unterwegs - mit ihren zwei Hunden.
Als Obdachlose sehen sich die beiden nicht, eher als Aussteiger oder Weltenbummler. Und wirklich faul seien sie schließlich auch nicht. „Es gibt wohl keine ehrlichere Arbeit, als die Leute zum Lachen zu bringen“, meint José Manuel. Genau das tun sie nach seinen Worten, „und zwar von zehn Uhr morgens bis zehn Uhr abends“. Dass sie den Menschen nicht vorgaukelten, sie bräuchten das Geld für Essen oder eine Unterkunft, fänden viele besonders sympathisch. „Wir wollen kein Mitleid erwecken“, betont der 55-Jährige. Außerdem gehe eine beträchtliche Summe für das Aktualisieren der Internetseite in Telefonläden drauf.
Die Pappschilder „für Whiskey“ und „für den Kater“ (resaca, auf Spanisch) sind indes zumindest doppeldeutig, denn so heißen ihre beiden Mischlingshunde. Es gibt aber auch andere Schilder, etwa mit der Aufschrift „für Joints“ oder „für andere Laster“. Die kommen aber erst zu später Stunde zum Einsatz, „wenn keine Kinder mehr hier herumlaufen“.
Zwar sei es hart, auf der Straße zu leben, erzählt Lyndon. Vor allem im Winter. „Aber wenn ich mich so umschaue, sind wir glücklicher als viele andere Menschen, die ein sogenanntes geordnetes Leben haben.“ Man lerne die Städte auf diese Weise auch viel besser kennen. Und bekomme viele Freunde. Immerhin fast 600 Kontakte haben sie inzwischen auch auf ihrer Facebook-Seite. Nach Madrid wollen die beiden an die Algarve in Portugal. Und noch dieses Jahr auch nach Berlin und München. „Aufs Oktoberfest“, sagt Lyndon. José Manuel unterhält sich derweil mit einer japanischen Touristin. Als diese ihre Kamera zückt, holt er schnell ein weiteres Pappschild hervor und hält es ihr grinsend entgegen. „Fotos 278 Euro“, steht darauf.