Erstes Mal Drahtesel: Wenn Erwachsene Radfahren lernen

Bremen (dpa) - Was viele als kinderleicht empfinden, ist für rund eine Million Erwachsene in Deutschland ein Problem: Radfahren. Viele haben es nicht gelernt, beispielsweise weil sie aus einer Kultur stammen, in der Fahrräder verboten oder nicht vorhanden waren.

Zaghaft setzt Najma Xasan einen Fuß auf den Tretroller, mit dem anderen stößt sich die 20-Jährige sanft vom Boden ab. Noch wackelt sie ein bisschen, aber mit jedem Versuch wird die junge Frau mit dem lila Kopftuch sicherer. Ihr langes, blaues Gewand hat sie um ihre Hüfte gewickelt, damit es sich nicht in den Speichen verfängt. Xasan will Radfahren lernen. Mit ihrer Freundin Fartun Jimall, die ebenfalls aus Somalia stammt, nimmt sie an einem Kurs im Bremer Stadtteil Gröpelingen teil. Gemeinsam mit fünf anderen Frauen lernen die beiden zunächst, wie sie ihr Gleichgewicht auf einem Roller halten und damit erste Kurven fahren.

Wie Xasan und Jimall geht es rund einer Million Erwachsenen in Deutschland: Sie können nicht Fahrradfahren. Die Gründe dafür sind nach Angaben des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) unterschiedlich. Oft spiele der kulturelle Hintergrund eine Rolle, sagt ADFC-Sprecherin Bettina Cibulski. So ist es auch bei Xasan und Jimall. „In Somalia benutzen wir nicht so viele Fahrräder. Wir fahren Taxi oder Bus“, erzählt die 24 Jahre alte Jimall, die seit anderthalb Jahren in der Bundesrepublik lebt. Dass sie Radfahren lernen will, war für sie schnell klar: „In Deutschland gehört das Rad dazu“, sagt sie.

Kein Wunder also, dass Jimall am ersten Kurstag ein bisschen nervös ist. „Ja, ich bin aufgeregt“, gibt sie zu. Eine Woche später ist von Aufregung oder Angst nichts mehr zu sehen. Zügig und sicher kurvt sie über den Schulhof einer Bremer Grundschule.

Die Freude am Fahrradfahren ist den beiden Frauen deutlich anzusehen. Auch die anderen Teilnehmerinnen lachen viel während der Übungen, die Leiterin Meike Thomsen mit ihnen macht. Mal fahren die Frauen hinter einander her, mal aufeinander zu. Dann sollen sie sich während der Fahrt umdrehen und eine Frage beantworten. „Später kommt noch das Handzeichen hinzu“, erklärt die Bewegungspädagogin. Seit drei Jahren gibt sie Radkurse für den Bremer ADFC und achtet dabei auf eine spielerische Herangehensweise.

Zehn Nachmittage dauern die Kurse, die der ADFC mit lokalen Kooperationspartnern speziell für Frauen mit Migrationshintergrund anbietet. „Ich mache circa zwei Tage Roller, zwei Tage Laufrad, sechs Tage Rad“, erläutert Thomsen den Aufbau. Ihre Kursteilnehmerinnen erlebt die 37-Jährige als sehr motiviert. „Sie haben oft viel Angst. Gerade, wenn sie es schon mal versucht haben und hingefallen sind“, sagt sie. „Aber sie beißen sich durch und schaffen es auch.“

Tassadit Hennings muss tatsächlich die Zähne zusammenbeißen. Einen Tag zuvor ist die 50-Jährige gestürzt. „Mir war schwindelig und dann bin ich auf das Knie gefallen“, erzählt die Frau, die in den algerischen Bergen aufwuchs und später einen Deutschen heiratete. Von einer Prellung und Schürfwunden will sie sich nicht abhalten lassen. „Der Kurs ist eine große Chance“, erklärt sie. Gleich in der nächsten Woche will Hennings sich ein Fahrrad besorgen. „Vielleicht ist im September schönes Wetter, dann können wir einen Ausflug machen. Mein Mann freut sich schon darauf, mit mir Rad zu fahren.“

Auch Xasan und Jimall zeigen sich glücklich über ihre neue Freiheit. Beide wollen sich jetzt auch ein Fahrrad kaufen - um sich den Alltag zu verschönern.