Großfeuer im Chemiepark Dormagen: Schaumangriff aufs Pulverfass

Störfall: Inferno im Chemiewerk nach neun Stunden gestoppt. Erhöhte Giftwerte in der Luft.

Köln/Dormagen. Patrick Giefers sah müde aus. Es war eine lange Nacht für den Ineos-Geschäftsführer. Immer wieder nippte der Arbeitsdirektor des Chemiewerks in Köln-Worringen gestern nach der Pressekonferenz an seinem Kaffee. Neun Stunden benötigten 1200 Einsatzkräfte, um den gewaltigen Großbrand unter Kontrolle zu bringen. Erst um Mitternacht erlosch der helle Feuerschein über dem Ort. Für die Kölner Berufsfeuerwehr war es der größte Einsatz nach dem Zweiten Weltkrieg. Zeitweise wurden jede Minute 55000 Liter Wasser verbraucht. Die Ursache des Infernos ist noch nicht geklärt.

Obwohl die Flammen gelöscht waren - Entwarnung konnte gestern Morgen nicht gegeben werden. Die Giftwolke war zwar in mehreren hundert Metern Höhe über Köln gezogen, doch an drei Stellen in der Umgebung der Fabrik wurden die Grenzwerte für das giftige Acrylnitril überschritten. Experten sprachen von leicht erhöhten Giftwerten. Die Folge: An allen Einfahrtsstraßen wurde jeder Autofahrer angehalten und über die Gefährdung informiert: "Lassen Sie die Fenster zu, wenn sie durch den Ort fahren."

Im nahen Umfeld der Firma liegen vier Kindergärten. Den Kindern wurde verboten, im Freien zu spielen. Die Feuerwehr führte in unmittelbarer Nähe Tests durch und sprach von "absolut unbedenklichen" Ergebnissen. Am Nachmittag entspannte sich die Lage. "Die Messwerte sind im Toleranzbereich", sagte ein Sprecherin der Stadt Köln.

Werksarzt Ulrich Ochs sagte, es seien kaum Klagen über gesundheitliche Beschwerden eingegangen, was erstaunlich sei, da es bei einem Vorfall dieser Größenordnung eigentlich immer psychosomatische Reaktionen von Anwohnern gebe. 1400 Bürger meldeten sich bei den Notrufen.

An der Untersuchung der Störfall-Ursache beteiligen sich Mitarbeiter der Firma, Brandermittler der Kölner Kripo, Bezirksregierung und weitere Fachleute. Die Höhe des Schadens konnte die Firma noch nicht abschätzen. Die geborstene Ethylen-Gasleitung, die das Flammen-Inferno auslöste, ist nach Werksangaben 30Jahre alt und erst vor drei Wochen auf ihre Dichtigkeit hin überprüft worden. Die Leitungen auf dem Gelände würden regelmäßig kontrolliert.

Die Feuerwehr stand vor einer komplizierten Aufgabe. Das größte Problem war der brennende Tank mit dem giftigen Acrylnitril und ein möglicher Übergriff der Flammen auf einen weiteren Tank. Mit einem "großen Schaumangriff" wurde das Inferno bekämpft und das Feuer erstickt. Der Versuch, mit riesigen Mengen Sand den Brand zu löschen, schlug fehl.

Das Feuer aus der Ethylen-Leitung konnte die Wehr nicht löschen. Stattdessen stellten die Techniker die Pipeline von Antwerpen nach Marl im Kölner Raum ab und ließen die Reste verbrennen. Die A57 (Köln-Krefeld) wurde erst in der Nacht zu gestern wieder freigegeben. Sie war wegen der dichten Rauchwolke gesperrt worden. Außerdem verläuft die Pipeline unter der Fahrbahn.

Acrylnitril ist ein leicht entzündlicher, giftiger Stoff. Dämpfe und Flüssigkeit können auch über die Haut aufgenommen werden. Sie reizen die Schleimhäute, die Haut und besonders die Augen. Acrylnitril kann Nerven, Atmungssystem und Verdauungsorgane schädigen. Im Tierversuch löste der Stoff Krebs aus. Er wird unter anderem bei der Produktion von Kunststoffen, Medikamenten und Farbstoffen verwendet.

Abstand Den räumlichen Abstand von Industrieanlagen - wie dem Chemiewerk in Köln - zu Wohnsiedlungen regelt die sogenannte Störfallverordnung. "Allerdings gibt sie keine Abstände in Zahlen vor", so eine Sprecherin des NRW-Umweltministeriums am Dienstag. Die Verordnung lege nur fest, dass "eine ernste Gefahr für die Anwohner auszuschließen ist".

Genehmigung Während des Genehmigungsverfahrens werde dieser Passus von der jeweiligen Bezirksregierung überprüft. Die Störfallverordnung ist Teil des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Sie gilt für alle Betriebe, in denen eine hohe Menge gefährlicher Stoffe verarbeitet wird.

Prüfung Nach den zwei schweren Störfällen in Chemiewerken in NRW verlangen die Grünen einen Bericht der Landesregierung. Die Regierung müsse am 9. April im Umweltausschuss zu den Ursachen und Folgen der Störfälle Stellung nehmen.Vor einer Woche waren im Wuppertaler Bayer-Werk durch eine Ammoniak-Wolke 27 Menschen verletzt worden.