Höchststrafe für Kindermörder Silvio S.
Potsdam (dpa) - Es ist ein gespenstischer Moment, als die Schreie von Mohameds Mutter durch den Gerichtssaal gellen. „Was hast Du mit meinem Kind gemacht?“, ruft sie durch den Saal. Die verzweifelte Frau will sich hastig durch die Stuhlreihen kämpfen und auf den Mörder ihres Jungen zustürmen.
Justizbeamte gehen in Stellung. Begleiter halten Mohameds Mutter fest und führen sie behutsam aus dem Saal. Die Mutter des Berliner Flüchtlingskindes hat an diesem Tag zum ersten Mal in allen grausigen Details gehört, was Silvio S. ihrem vierjährigen Sohn angetan hat, bevor er ihn getötet hat.
Auch die Mutter des sechsjährigen Elias aus Potsdam ist zum Urteil erschienen. Sie verlässt allerdings den Saal schon sehr früh, bevor Einzelheiten zum Tod ihres Kindes zur Sprache kommen können. Die beiden kleinen Jungen sind Silvio S. laut Urteil im vergangenen Jahr zum Opfer gefallen.
Es sind tiefe Abgründe, in die der Vorsitzende Richter Theodor Horstkötter eintauchen muss. Sorgfältig reiht er drei Stunden lang Fakt an Fakt. Er erklärt, warum das Gericht eine „äußerst harte Strafe“ verhängen muss. Lebenslang mit besonderer Schwere der Schuld. Mehr geht in Deutschland nicht.
Wenn Silvio S. eines Tages in Freiheit kommt, wird er wohl um die 50 sein. Eine Sicherungsverwahrung wurde allerdings nicht verhängt. Die Anwälte der Mütter und der Staatsanwalt hatten das gefordert.
Elf Tage lang hat das Landgericht Potsdam einem Menschen den Prozess gemacht, der zu den Vorwürfen beharrlich schwieg - mit Ausnahme einer zweieinhalbminütigen Erklärung seiner Reue. Freunde, Bekannte, Schrebergartennachbarn, Polizisten und ein Psychiater gaben dem Gericht unzählige Puzzlestücke an die Hand.
Die traurige Bilanz des Richters: „Sie haben ein zurückgezogenes, einsames und freudloses Leben geführt.“ Silvio S. ist ein schüchterner „Sonderling“, wie der Richter mehrere Zeugen zitiert. In der Schule gehänselt, in der Ausbildung gemobbt, von den Eltern immer wieder kritisiert, von den Freunden als Chauffeur zur Discothek ausgenutzt. Ein Mann, der immer flieht, wenn es Streit gibt. Der zu scheu ist fürs Flirten, immer dieselbe Kleidung trägt, Angst vor Fremden hat. Das ist traurige Ausgangslage eines schrecklichen Geschehens.
Dann geschieht etwas Eigenartiges. Der Underdog baut sich eine bizarre Traumwelt auf. Er träumt von Frau und Kind, aber bestellt sich stattdessen Kinderpuppen im Internet und steigert sich zugleich ohne jede eigene sexuelle Erfahrung in die Welt der SM-Pornos hinein.
„Ihre sexuellen Bedürfnisse haben Sie regelmäßig mit einer lebensecht aussehenden Puppe befriedigt, die einem kleinen Mädchen täuschend ähnlich gesehen hat“, sagt der Richter. Silvio S. legt sich und den Puppen SM-Zubehör an, macht eigenartige Selfies. Manchmal kuschelt er auch mit der Partnerin aus Kunststoff. Ermittler finden später lauter kleine Kinderköpfe, die er aus Zeitungsfotos ausgeschnitten hat.
Laut Urteil reicht dieser Sex-Ersatz Silvio S. irgendwann nicht mehr. Er beginnt mit den Planungen für eine Kindesentführung. Die Polizei wird später in der vermüllten Wohnung des Wachmanns auf Zettel stoßen: „Mädchen, Junge, Messer, Kind besoffen machen, Fesseln, Mund zukleben, knebeln.“ Dies sei das „Drehbuch“ gewesen, so der Richter.
Nach Überzeugung des Gerichts hat der Wachmann, der immer in der Nachtschicht gearbeitet hat, von Beginn zumindest ins Kalkül gezogen, die Kinder auch zu töten. „Sie sind nicht der Mensch, der völlig spontan aus der Situation heraus agiert“, betont Richter Horstkötter. „Sie sind ein Mensch, der nichts dem Zufall überlässt.“
„Minutiös“ habe der Angeklagte die Entführungen der Kinder geplant, habe Gummibärchen und Spielzeug genauso eingepackt wie Chloroform und Schlaftabletten und Fesseln. „Sie haben sie entführt, der Freiheit beraubt, sexuell missbraucht und in der Absicht getötet, Ihre Taten zu verdecken.“ Bei dem Missbrauch sei er besonders rücksichtlos vorgegangen. Pädophil sei der Angeklagte nicht. Er habe sich allen Erkenntnissen nach einfach am schwächsten möglichen Opfer vergriffen, um Sex zu haben. „Sie haben die beiden Kinder im wahrsten Sinne des Wortes ihrer Unschuld beraubt.“ Die Taten seien „unbegreiflich“.