„Ike“ fegt ganzen Ort von der Landkarte
200 Häuser der texanischen Ortschaft Gilchrist sind spurlos verschwunden. Sturm und Flutwellen haben das Gebiet dem Erdboden gleich gemacht.
Gilchrist/ Houston. Der Sonnenuntergang in Gilchrist ist immer noch atemberaubend. Binnen weniger Minuten beginnt der Himmel über Texas erst rot und dann ziegelfarben zu leuchten, bis er schließlich in alle Facetten von Grau übergeht und sich im Dunkel der hereinbrechenden Nacht verliert.
Das Naturschauspiel kann aber kaum darüber hinwegtrösten, dass Hurrikan "Ike" von dem Touristenort mit bisher 750 Einwohnern südöstlich von Houston so gut wie nichts mehr übrig gelassen hat.
Nur wenige Gebäude haben der Kraft des Sturms standgehalten, aber auch sie sind schwer beschädigt. Etwa 200 Häuser sind spurlos verschwunden. Sie wurden vom Hurrikan mit Windgeschwindigkeiten von 175 Kilometern pro Stunde und riesigen Wellen mit einer Höhe von bis zu acht Metern weggerissen.
Nur noch das Navigationsgerät im Auto verrät, dass es rechter Hand einmal in die Straßen Paisley, Mabry oder Van Zant ging. Der Ort, an dem sich bis vor kurzem Gilchrist befand, ist nur noch eine große Brachfläche.
Einige Cowboys versinken im Schlamm, während sie versuchen, das sichtlich geschockte Vieh zu retten. Nachts sind Kaimane die Herren der überfluteten Weiden. Die Reptilien greifen sogar Rettungsfahrzeuge an. "Es ist alles in den Golf von Mexiko gefegt worden", erklärt Behördensprecher Aaron Reed.
Von den Bewohnern ist nichts mehr zu sehen. Die Behördenvertreter beten, dass sich alle rechtzeitig in Sicherheit gebracht haben. Aber insgeheim wissen sie, dass ein Rest von Dickköpfen vermutlich zurückgeblieben ist. "Uns sind Fälle von Vermissten bekannt. Wenn das Wasser zurückgeht, werden wir vermutlich einige Leichen finden", sagt Reed.
In Gilchrist ist es schon tiefe Nacht, als sich in der Ferne die Scheinwerfer eines Fahrzeugs abzeichnen. Es nähert sich aus Südwesten - aus einer Richtung, aus der eigentlich nichts kommen dürfte. Dort wo früher der Ort Crystal Beach war.
Die Brücke, die die beiden Teile der Halbinsel verbindet, ist weitgehend zerstört. Aber Bobby Anderson hat es irgendwie geschafft, seinen Lastwagen über die Brückenreste zu steuern. Er ist hungrig, nachdem er sich tagelang von rohem Fleisch und dem Kondenswasser des Kühlschranks ernährt hat.
Der 56-Jährige berichtet, dass ihn während des Sturms eine Riesenwelle ins Meer spülte. Er schaffte es, zu einem Haus zu schwimmen. Dort verkroch er sich, bis sich der Sturm gelegt hatte. Eine Begleiterin schaffte es nicht und gilt nun als vermisst.
Anderson schimpft auf die Rettungsmannschaften, die ihm vor dem Sturm Lebensmittel verweigerten, um ihn zum Gehen zu animieren. Und warum blieb er trotz der Warnungen? "Mir gefiel die Vorstellung nicht, dass ich von einem Ort zum nächsten geschickt werden sollte, ohne zu wissen, wo ich gerade bin." In seinem Heimatort ließ er etwa 20 Freunde zurück, die sich in die Kirche von Crystal Beach geflüchtet hatten. "Ich hoffe, dass ich sie wiedersehe", sagt Anderson.