Interview: „Ich bin durch die Hölle gegangen“
Jean-Marc Bosman hat dafür gesorgt, dass seine Fußball-Kollegen viel Geld verdienen. Er selbst ist ins gesellschaftliche Abseits gerutscht.
Villers L’Evêque. Die Hauptstraße von Villers L’Evêque führt an der alten Backsteinkirche vorbei, an einem Bolzplatz, einer Schule, einem Altenheim, einem Supermarkt. Mehr gibt’s nicht. Kein Ort für Helden. Doch in diesem 1.700-Seelen-Dorf nahe Lüttich lebt Jean-Marc Bosman. Der Mann, der die Fußballwelt vor 15 Jahren aus den Angeln hob.
Als Bosman vor sein geklinkertes Haus tritt, sieht er aus wie eine sympathische Version von Wayne Rooney, unter seinen Augen zeichnen sich Ringe ab. Zwei Jahrzehnte des Kämpfens gegen die Mächtigen des Sports haben Spuren hinterlassen. Der Revoluzzer des Weltfußballs wirkt ausgelaugt.
"Ich bin durch die Hölle gegangen", sagt Bosman. "Der Alkohol war mein Weg, um Probleme zu bekämpfen und die Armut zu vergessen." Dem 45-Jährigen ist nicht viel geblieben, seit der Europäische Gerichtshof im Dezember 1995 jenes Urteil verkündete, das seinen Namen trägt. "Am Anfang begreifst du nicht, dass du gegen eine große Krake kämpfst."
Die Krake hat ihn in die Tiefe gerissen, denn nach dem Verfahren wollte kein Verein den "Nestbeschmutzer" mehr ins Tor stellen. Alkohol, Scheidung, Schulden. Dabei wollte Jean-Marc Bosman nur eines, bevor er vor Gericht zog: Fußball spielen.
Doch der FC Lüttich ließ ihn nicht gehen, jedenfalls nicht umsonst, obwohl sein Vertrag im Sommer 1990 ausgelaufen war. Der Verein verlangte eine unverhältnismäßige Ablöse von 800.000 Euro. Das war dem an Bosman interessierten französischen Zweitligisten Dünkirchen zu viel.
Bosman sah sich im Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes eingeschränkt. Der Europäische Gerichtshof entschied nach fünf Jahren für ihn und kippte mit seinem Grundsatzurteil das Transfersystem: Statt maximal drei Ausländer durften fortan beliebig viele Fußballer aus EU-Staaten eingesetzt werden. Die Ablösesummen nach Vertragsende entfielen. Durch das Wettbieten um die besten Spieler explodierten nun deren Gehälter.
Neidisch ist Bosman nicht auf diejenigen, die seit seinem Einsatz viel Geld verdienen. Aber wütend ist er "über den Mangel an Solidarität in der Fußballszene". Einmal schrieb ihm Mark van Bommel: "Wenn ich nach Bayern wechsle, dann dank Dir." Ab und zu trudeln zweistellige Beträge einstiger Kollegen auf dem Konto ein.
Noch bitterer spricht Bosman über die Spielergewerkschaft Fifpro. Er rutscht auf seinem Stuhl herum, kramt in Unterlagen, holt Faxe hervor, tippt mit dem Zeigefinger auf bestimmte Stellen. "Ich bin benutzt worden", sagt er. Bosman mag ein einfacher Mann sein, aber er ist kein Dummkopf. "Sie wollten mich nur mit auf dem Bild haben." Bosman, die Symbolfigur, der Türöffner. Erst nach dem Prozess erkannten Fifa und Uefa die Spielergewerkschaft an, die sich bis heute rühmt, Bosman unterstützt zu haben.
25.000 Euro jährlich über einen Zeitraum von zehn Jahren soll Fifpro Bosman mündlich angeboten haben, weil der frühere belgische Juniorennationalspieler mit 26 Jahren seine Karriere dem Gerichtsverfahren opferte. "Ich habe das Geld nie bekommen", so Bosman. Er erhielt nur einmal 10.000 Euro. Stattdessen schrieb ihm Fifpro-Generalsekretär Theo van Seggelen: "Geld wird Deine Probleme nicht lösen. Es ist wichtiger, dass Du Dein Leben in den Griff bekommst." Bosman empfindet das als Hohn.
Vom Alkohol immerhin ist er seit zwei Jahren weg. Aber er muss Tabletten gegen die Depressionen nehmen. Mit seiner neuen Freundin Carine hat er einen acht Monate alten Sohn. Lichtblicke in einem Leben, von dem er 20 Jahre verloren hat, sagt er.