Kindergeldbetrug alarmiert Städte

Die Zahl ausländischer Kindergeldempfänger ist 2018 stark angewachsen. Betrugsfälle häufen sich, der Handlungsdruck wächst.

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Duisburg/Berlin. Sören Link platzt der Kragen, wenn er die vermüllten Vorgärten in einigen Stadtvierteln Duisburgs sieht. „Wir haben rund 19 000 Menschen aus Rumänien und Bulgarien in Duisburg, Sinti und Roma. 2012 hatten wir erst 6000“, sagt der SPD-Oberbürgermeister der Ruhrgebietsstadt. Die Nachbarn fühlten sich „nachhaltig gestört durch Müllberge, Lärm und Rattenbefall“. Einige der Neu-Duisburger kommen nicht, weil sie die Stadt so reizt, sondern weil sie das deutsche Kindergeld lockt. 194 Euro für die ersten zwei, 200 Euro für das dritte Kind, für jedes weitere Kind 225 Euro im Monat. Nach EU-Angaben beträgt das Durchschnittsgehalt in Rumänien 715 Euro brutto. Einen Kindergeldanspruch haben EU-Bürger grundsätzlich in dem Mitgliedstaat, in dem sie arbeiten oder wohnen.

Das Beantragen von Kindergeld ist denkbar einfach. Man meldet sich als Familie in Deutschland mit einem festen Wohnsitz an. Dann geht die Meldung an die Familienkasse, die überprüft das Vorliegen von Kindern und zahlt das Geld aus. „Ob die Kinder in Deutschland leben, ob sie in Rumänien oder Bulgarien leben, ob sie überhaupt existieren, das ist dann noch mal eine ganz andere Frage“, sagt OB Link.

Mit scharfer Kritik reagiert der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, auf die Äußerungen des Oberbürgermeisters. Selbstverständlich müsse gegen jede Form des Betrugs ermittelt werden, ohne Ansehen der Person, erklärte Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. „In diesem Kontext aber durch eine gezielte, an der Abstammung festgemachte Kennzeichnung die Angehörigen der Minderheit zur alleinigen Ursache dieses Problems zu machen, steht in der Tradition der Herstellung von Sündenböcken und birgt, gerade jetzt, die Gefahr von Gewalt gegen Sinti und Roma in Deutschland“, sagt Rose.

Auch der Deutsche Städtetag sieht Probleme, Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy betont aber: „Die meisten Menschen aus Südosteuropa sind in Deutschland gut integriert.“ Da sind zum Beispiel bestens ausgebildete Pflegekräfte aus Polen, ohne die in vielen Heimen nichts mehr liefe. Die neuesten Kindergeldbezugszahlen sind allerdings brisant. „Im Juni 2018 wurde für 268 336 Kinder, die außerhalb von Deutschland in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum leben, Kindergeld gezahlt“, sagt ein Sprecher von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Ein Plus von 10,4 Prozent im Vergleich zum Stand Ende 2017 (243 234 Empfänger). Die meisten ausländischen Kindergeldbezieher sind demnach polnischer Herkunft, gefolgt von Tschechien, Kroatien und Rumänien.

Mit Ausweitung der EU-Freizügigkeit auf Osteuropa hat sich auch die Zahl von Kindergeldbeziehern im Ausland stark erhöht. 2010 zahlte der deutsche Staat noch 89 261 Empfängern Kindergeld — davon waren rund 31 500 deutsche Staatsbürger, die im Ausland leben. Diese Zahl ist bis heute konstant geblieben, während die Zahl von Beziehern mit Ursprung in Osteuropa steigt: Rumänien tauchte 2010 noch gar nicht in der Statistik auf, aus Bulgarien waren es 12. Ende Juni gab es 18 850 rumänische Empfänger und rund 7000 aus Bulgarien.

Betrug ist oft schwer nachzuweisen — aber Duisburgs OB Link hat mit den Behörden ein Schema ausgemacht. „Wir müssen den kriminellen Sumpf der Schlepper austrocknen, die Menschen in Rumänien und Bulgarien anwerben und hierhin bringen in Wohnungen, in denen wir selbst alle nicht leben wollen.“ Es sei zudem ganz oft so, dass der Vermieter auch der Arbeitgeber oder Scheinarbeitgeber sei. „Die haben das als Geschäftsmodell erkannt: sie vermieten zu horrenden Mieten Schrottimmobilien, die eigentlich nicht mehr bewohnbar sind, und der Staat zahlt Kindergeld und Sozialleistungen.“ Wie viel Geld am Ende davon die Banden dahinter einkassieren, das ist ein Dunkelfeld.

Zwar zahlt das Kindergeld der Bund, die Städte müssen aber oft noch Kosten für die Unterkunft zuschießen. 2017 wurden 35,5 Milliarden Euro an Kindergeld auf Konten im Inland überwiesen und bereits 343 Millionen auf Konten im Ausland. Eine Bundesstatistik über Missbrauchsfälle existiert bisher nicht. Immer wieder werden scheinbar gefälschte Geburtsurkunden für nicht existierende Kinder oder Schulbescheinigungen vorgelegt, obwohl die Kinder gar nicht in Deutschland leben. In welchem konkreten Land die Kinder tatsächlich leben, ist in der Regel nicht bekannt, räumt das Finanzministerium ein. Die für die Auszahlung des Kindergelds zuständige Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit hat kürzlich mit ihren Partnern in Wuppertal und Düsseldorf 100 Verdachtsprüfungen durchgeführt und in 40 Fällen fehlerhafte Angaben festgestellt. Die Summe des in diesen 40 Fällen unberechtigt bezogenen Kindergelds lag bei 400 000 Euro.

SPD-Chefin Andrea Nahles kennt das Problem aus ihrer Zeit als Arbeitsministerin. Sie könnte sich eine Indexierung vorstellen, die Anpassung der Kindergeldzahlungen an die Lebenshaltungskosten im Ursprungsland — das könnte die Kosten um mehrere Hundert Millionen Euro reduzieren.