Misshandlung: „Als wäre der Teufel in mir“
In der Nachkriegszeit wurden zehntausende Kinder für schwachsinnig erklärt und in kirchlichen Heimen sadistisch gequält. Eins von ihnen war Monika Stey.
Engelskirchen. Gerade war ihr Kopf durch den Geburtskanal gerutscht und im gelben Licht einer Glühbirne zum Vorschein gekommen, da bollerte der Hausmeister mit den Fäusten an die Eisentür. "Hier darf nicht entbunden werden", brüllte er, und das Donnern überschlug sich im Innern des Bunkers. Die Gebärende zuckte zusammen, dann setzten ihre Wehen aus, und das Kind blieb zwischen Bauch und Welt stecken. Als die Geburt nach Ewigkeiten zu Ende ging, war die Mutter fast verblutet.
Monika Stey glaubt, dass das Drama ihres Lebens am 1. März 1953 begann, in diesem fensterlosen Verlies des alten Kriegsbunkers, der als Notunterkunft der Armen im ausgebombten Köln diente. Vielleicht war der Sauerstoffmangel während der Geburt Schuld am Horror ihrer Kindheit.
Aber ganz sicher hatte es auch mit dem Vater zu tun und dem Krieg, der in seinem Kopf kein Ende fand. Vater brauchte Schnaps, um sich die Bilder von zerfetzten Körpern aus dem Gehirn zu spülen; im Delirium drosch er dann auf seine Kinder ein. Vor allem auf die zappelige Monika, die Kinderpsychologen heute wohl als hyperaktiv bezeichnen würden.
Da gibt es dieses Foto von Heiligabend 1956, das aussieht, als seien sie damals eine große, glückliche Familie gewesen. Der Vater hat seine Arme um Monika gelegt und lächelt stolz, wie Väter das so tun, bevor der Verschluss klickt. Monika Stey streicht zärtlich über die Aufnahme, obwohl sie nur die Illusion einer glücklichen Kindheit ist. Dann klappt sie das Album zu.
Mehr als ein halbes Jahrhundert ist das nun her. Monika Stey hat die Tür zum Balkon geöffnet; eine Sommerbrise bläht die Vorhänge auf, Kater Tiger huscht hinein, die behäbige Gina schnurrt auf dem Sofa. "Gina ist immer nur misshandelt worden und war total verängstigt, aber jetzt geht es ihr gut", sagt sie und streicht der Katze über den Kopf. Sie sagt, dass sie sich in Gina manchmal selbst erkennt.
Vor ein paar Jahren ist sie nach Engelskirchen im Oberbergischen gezogen, weit weg von der Hektik Kölns, weit weg von ihrer eigenen Vergangenheit. Und eigentlich geht es ihr jetzt, mit 55, besser als jemals zuvor. Da ist diese Dankbarkeit: Ihr sind ein paar gute Menschen über den Weg gelaufen, Menschen, die einfach irgendwann da waren und ihr beim Kampf gegen die Dämonen ihrer Kindheit halfen: der George, der Karli, der Theo und die Rebecca, um einige zu nennen.
Sie alle haben ihren Anteil daran, dass Monika Stey jetzt als Fußpflegerin arbeitet kann, einen Teilzeitjob als Krankenpflegehelferin hat, dass sie einen alten Opel Astra besitzt und einen Computer, mit dem sie im Internet surft.
Fast könnte man sagen, dass sie ihren Seelenfrieden gefunden hat, wären da nicht die Nächte, in denen sie in der Gewissheit aufwacht, gewürgt worden zu sein. Wären da nicht die letzten Dämonen aus einer Hölle, die ihre Kindheit war.
Sie fingert ein vergilbtes Amtsblatt aus einer Plastikhülle. Am 14. September 1961 verfasste Obermedizinalrat Dr. Frank von der Kölner Jugend-Fürsorge ein Gutachten über die Achtjährige, das ihre fragile Kindheit endgültig zerbrechen ließ. Was er schrieb, klingt wie ein Urteil: "Das erheblich geistesschwache, sehr unruhige, sich selbst und die Umgebung gefährdende Kind bedarf dringend der sofortigen Unterbringung in einer Schwachsinnigenanstalt!"
Den Misshandlungen in der Familie folgten die Prügeljahre im Heim der "Armen Dienstmägde Jesu-Christi" in Kerpen. Sie sagt: "Die Nonnen haben draufgehauen, als wäre der Teufel in mir." Manchmal stülpten sie ihr einen Leinensack über den Kopf und tauchten sie in eiskaltes Wasser, während sie ihr mit einem Schöpflöffel den Kopf blutig schlugen. Manchmal würgten sie sie mit einer Kordel oder mit den bloßen Händen, bis sie ihr Bewusstsein verlor. Und weil Monika ins Laken nässte, musste sie zur Strafe immer wieder unter ihrem Eisenbett die Nacht verbringen, auch im Winter ohne Decke.
Die Stunden im Heim haben sich in ihr Gehirn gebrannt, die vielen bösen wie die wenigen guten. Da war die blinde Schwester Maria, die Monika ein kariertes Hängerchen nähte, weil ihr das verstörte Mädchen leid tat. Aber Schwester Maria starb.
Nach drei Jahren war das bisschen Würde, das sie sich als letzte Habseligkeit bewahrt hatte, durch einen einzigen Wutanfall verloren. An einem Morgen, sie war 13 Jahre alt, musste sie wie so oft niederknien; dann raste der Rohrstock auf ihren Rücken nieder. Da klammerte sie sich an die Wade der Nonne, und ihr ganzer Hass entlud sich durch einen gewaltigen Biss.
Am nächsten Tag fand sich Monika Stey in der geschlossenen Psychiatrie des Landeskrankenhauses Langenfeld wieder, vollgestopft mit Medikamenten, in eine Zwangsjacke gesteckt, Arme ausgestreckt ans Bett gebunden. Sie sagt: "Wie gekreuzigt."
Der Horror der Psychiatrie überdauerte ihre Jugend. Es war eine Zeit voller Elektroschocks und Zwangsfixierungen. Erst mit 18 begann ihr Kampf gegen die amtlich verbriefte Diagnose der Schwachsinnigkeit. Er dauerte Jahrzehnte, es war eine Rebellion gegen Albträume und Depressionen, eine Rebellion gegen Vorurteile und Behördenwillkür, vor allem aber eine Rebellion gegen die Dämonen ihrer Kindheit.
Psychotherapien folgten, Jahre in einer Übungswohnung, die sie auf die Welt da draußen vorbereiteten, schließlich der Hauptschulabschluss, die Prüfung zur staatlich anerkannten Krankenpflegehelferin.
Monika Stey blättert weiter in den Dokumenten. Dann bleibt ihr Blick an einem Gutachten von 1989 hängen, eine medizinische Untersuchung des Arbeitsamtes Köln. "Ich betone ausdrücklich", schrieb der Amtsarzt, "dass Frau Monika Stey nicht schwachsinnig ist. Anderslautende Diagnosen sind falsch." Es war das wichtigste Gutachten ihres Lebens.