Mord im Namen des Vaters?
Eine Familie soll den Tod der Tochter beschlossen haben, weil sie zu westlich lebte.
Kleve. "Ich habe fünf Kinder aus erster Ehe. Ich hatte sechs, eine ist verstorben." Gülsüm ist die eine. Im März wurde sie ermordet. Ihr Vater Yusuf (49) ist einer der Angeklagten. Weinend wird er in den Gerichtssaal geführt, minutenlang schluchzt er in sein Taschentuch. Seit 16 oder 17 Jahren, so sagt er, lebt er in Deutschland. Die Sprache ist ihm fremd.
"Evet", ja, lässt er ausrichten, als er gefragt wird, ob er mit der Übersetzerin zufrieden ist. Er bestreitet, an dem Verbrechen beteiligt gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft hatte auch vor kurzem zum Tod seiner ersten Frau, die sich 1996 selbst getötet haben soll, Nachermittlungen angestellt.
Sein Sohn Davut, ebenfalls des Mordes an Gülsüm bezichtigt, hüllt sein Gesicht beim Anblick des Medienansturms in seine schwarze Kapuzenjacke. Nach Prozesseröffnung hält er den Kopf gesenkt, weint leise. Er hat kahle Stellen auf dem Kopf und im Bart. Das seien psychosomatische Erscheinungen, weil ihn das alles so mitnehme, sagt sein Anwalt Hans Reinhard.
Ob es ein "Ehrenmord" war, wird Reinhardt von den Reportern gefragt. "Ich wehre mich gegen das Wort. Das klingt so archaisch", sagt der Rechtsanwalt. "Jeder ist Produkt seiner Erziehung", spricht er in die Mikrofone. Möglicherweise, formuliert er vorsichtig, spielte hier die westliche Lebensweise eine Rolle. Bereitwillig wiederholt Siegmund Benecken, Anwalt des Vaters, seine Taktik vor den Kameras: Sowohl Davut als auch Yusuf werden nicht aussagen. Auch die Geschwister wollen keine Zeugenaussagen machen.
Miro M., der dritte Angeklagte, verzieht keine Miene. In den 32 Jahren seines Lebens hat er viel durchgemacht, sagt er. Er war nie gewollt, nie wirklich geduldet, hatte Ärger mit Skinheads und der Miliz in St. Petersburg. Sein Asylantrag wurde abgewiesen. "Ich denke, dass ich wieder nach Russland gehen werde, sobald ich aus dem Gefängnis komme", lässt der 32-jährige Russe über seine Dolmetscherin erklären.
Im März wurde er festgenommen. Ein auffälliger abgerissener Knopf war am Tatort gefunden worden. Bei seiner Überprüfung fanden Ermittler an seiner Jacke ebensolche Knöpfe.
"Gülsüm S. ist einem schrecklichen Verbrechen zum Opfer gefallen", sagt der Vorsitzende Richter Christian Henckel bei der Eröffnung. "Die Angeklagten sehen sich erheblichen Vorwürfen gegenüber." Der Respekt vor dem Opfer, so der Richter weiter, gebiete, das Verfahren unaufgeregt und mit großer Sorgfalt und Ruhe durchzuführen. Der Prozess wird am 10. November fortgesetzt. Zehn Verhandlungstage sind angesetzt. Das Urteil soll im Dezember fallen.