Münchner Konzertsaal kommt an die Peripherie

München (dpa) - Überall auf der Welt sind in den vergangenen Jahren für ein wachsendes Klassikpublikum neue, attraktive Konzertsäle entstanden. Selbst im kleinen Blaibach im tiefsten Bayerischen Wald wurde für kleines Geld ein Konzerthaus gebaut, das akustisch wie architektonisch Maßstäbe setzt.

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Und sogar die Hamburger Elbphilharmonie scheint, oh Wunder, jetzt doch irgendwann einmal fertig zu werden.

Aber München? Mit drei Spitzenorchestern - allesamt geleitet von Megastars am Pult (Kirill Petrenko, Waleri Gergijew und Mariss Jansons) - ist die bayerische Metropole eine der wichtigsten Musikstädte weltweit. Doch mit dem (zu kleinen) Herkulessaal in der Münchner Residenz und der (zu großen) Philharmonie im Gasteig-Kulturzentrum, die wegen ihrer Akustik immer wieder scharf kritisiert wird, fehlte bislang ein Saal von Weltniveau.

Das soll sich jetzt ändern: Am Dienstag beschloss das bayerische Kabinett unter Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), in der Landeshauptstadt einen neuen Konzertsaal zu bauen und setzte damit einen vorläufigen Schlusspunkt unter ein fast 15 Jahre langes Gezerre.

Entstehen soll der Saal, ganz unmünchnerisch, auf einer unspektakulären Industriebrache am Ostbahnhof, bislang eine Partylocation fürs Jungvolk. Das frühere Areal einer Knödelfabrik soll zu einem attraktiven Stadtteil mit Wohnungen, Hotels, Ateliers und Gastronomie entwickelt werden. Von einem „Kreativviertel“ spricht Bayerns Kunstminister Ludwig Spaenle (CSU). „Es wird ein Steigflug möglich sein, und zwar nach oben.“

Nachdem die Debatte jahrelang sehr grundsätzlich geführt wurde, war es zuletzt vor allem um die Standortfrage gegangen. Zahllose Vorschläge wurden präsentiert und wieder verworfen. Kurz vor Toresschluss hatte noch Stararchitekt Stephan Braunfels vorgeschlagen, das aus der Nazizeit stammende Gebäude des heutigen Landwirtschaftsministeriums an der Ludwigstraße abzureißen und an seiner Stelle ein wirbelndes Konzertsaal-Etwas zu bauen, das an einen abgeschnittenen Tornado erinnert.

Doch das Kabinett ließ sich nicht mehr beirren und votierte für das „Werksviertel“. Eine „Erbpachtlösung“ soll es geben, sagte Spaenle nach der Kabinettssitzung. Über einen Zeitraum von 50 Jahren werde das 30 Millionen Euro kosten, Bauherr ist die Staatsregierung.

Das Gelände ist frei, schon erschlossen und mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar. Ein Grund für die Entscheidung sei „die zeitliche Verfügbarkeit mit einer möglichen Inbetriebnahme bis Ende 2021“, teilte die Staatskanzlei mit. Denn die Zeit drängt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sehr gerne noch im Laufe seiner bis 2018 dauernden Amtszeit den Grundstein legen würde. Außerdem könnte der neue Saal als Ausweichquartier für die Münchner Philharmoniker dienen, die ab 2020 die Philharmonie im Gasteig wegen dringender Sanierungsarbeiten räumen müssen.

Zuletzt war neben dem Werksviertel nur noch ein einziger weiterer Standort im Rennen: die alte Paketposthalle westlich des Hauptbahnhofs. Eine Investorengruppe wollte in die gigantische, denkmalgeschützte Stahlbetonkuppel gleich eine ganze „Musikstadt“ implantieren. Dieser Vorschlag wäre zwar spektakulärer als ein Konzertsaal im Werksviertel, aber wohl auch deutlich teurer gewesen. Außerdem müsste vorher die Post mit ihrem Briefverteilzentrum ausziehen. Allein die Erschließung des Geländes hätte nach Angaben Spaenles mehr als 100 Millionen Euro kosten können.

Die künftigen Hauptnutzer des neuen Saals, das renommierte Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BR), fand sich am Ende nur noch in der Zuschauerrolle. Eigentlich hatten die Musiker, deren Chefdirigent Mariss Jansons die Konzertsaal-Debatte seinerzeit maßgeblich mit angestoßen hatte, das mitten im Stadtzentrum gelegene Areal des sogenannten Finanzgartens präferiert. Doch hier legten sich die Umweltschützer quer, die um den alten Baumbestand fürchteten.

Doch traurig ist man nicht, dass jetzt nicht in der Altstadt, sondern an der Peripherie gebaut wird. Das Werksviertel sei eine gute Alternative, heißt es aus Kreisen des Orchesters. Und den Charakter des Unfertigen sehe man als Chance, vielleicht ein jüngeres, experimentierfreudigeres Klassikpublikum anzuziehen. Ganz unmünchnerisch.