Neuanfang: Elke Heidenreich flüchtet ins Netz
Nach ihrem Rausschmiss beim ZDF vermarktet die Literatur-Expertin ihr Erfolgsformat „Lesen!“ online.
Köln. Dass Elke Heidenreich sich im strengen Sinne nicht als Fernsehfrau versteht, wurde sie nie müde zu betonen. Jetzt, da sie mitsamt ihrer Sendung "Lesen!" ins Netz wechselt, ist der Rechtfertigungsbedarf entsprechend gering. Zwölfmal im Jahr wird es das Format online geben.
Ein bisschen klingt das nach Verlegenheitslösung, schließlich hatte sie Anfang November getönt, sie könne sich vor Angeboten kaum retten. Ihr neues Zuhause ist die seit Freitag abrufbare Seite www.litcolony.de. Die namentliche Nähe zum Kölner Literaturfestival Lit.Cologne ist kein Zufall. Die Initiatoren sind dieselben.
Einen Monat ist es her, dass das ZDF Heidenreich den Stuhl vor die Tür gestellt hatte. Grund für den Rausschmiss waren ihre schmerzhaft offenen Äußerungen im Kielwasser der schon legendären Brandrede von Marcel Reich-Ranicki beim diesjährigen Deutschen Fernsehpreis.
Als "hirnlose Scheiße" hatte sie die Show gegeißelt und offenbart, dass sie sich schäme, für einen der austragenden Sender zu arbeiten. "Von mir aus schmeißt mich raus", hatte sie in besagtem Gastbeitrag für die FAZ geschrieben. "Ich bin des Kampfes eh’ müde!" Das ZDF tat wie geheißen, Reich-Ranicki bejubelte den Schritt. Heidenreich habe sich "miserabel benommen".
"Zugegeben: Vielleicht war das, was ich geschrieben habe, etwas zu krass", begann sie am Freitag bei der Vorstellung der neuen Internetseite den halbherzigen Versuch einer Abbitte, nur um kurz inne zu halten und dann nachzuschieben: "Obwohl - ich weiß nicht - eigentlich tut es mir nicht leid."
Es sollte auch nicht um den Eklat gehen, den Heidenreich "Debakel" nennt. "Über Reich-Ranicki ist kein Wort zu verlieren, dieses Nachtreten, das müssen wir nicht kommentieren", wollte sie das Gewesene abhaken. Bei litcolony.de, einer Plattform für Literatur aller Spielarten, soll sie das Schlachtschiff unter vielen prominenten Gastkolumnisten sein, darunter Roger Willemsen und Cordula Stratmann, die mit einem der Lit.Cologne-Geschäftsführer, Rainer Osnowski, verheiratet ist.
Dem Verdacht, der Medienkrieg sei inszeniert gewesen, um den medialen Wechsel PR-wirksam vorbereiten zu können, beugte Heidenreich vor: "Die Verhandlungen haben erst nach dem Rausschmiss begonnen." Verdienen würde sie genauso viel wie beim ZDF, "wenn nicht sogar mehr".
Die erste neue "Lesen!"-Ausgabe steht bereits online. Erster Gast ist Campino. Die Abläufe seien jetzt einfacher, die festgefahrenen Strukturen und das unattraktive Umfeld der öffentlich-rechtlichen Programmpolitik habe sie hinter sich, hakte Heidenreich dann doch noch einmal nach: "Vor mir kein Jodeln, nach mir kein Kochen." Wahrscheinlich aber auch kein Millionenpublikum mehr.