So fern und doch so nah Paris-Berlin: Liebe auf Distanz in Zeiten von Corona
Düsseldorf · 878,36 Kilometer Luftlinie liegen zwischen ihnen. Svenja Arenz lebt in Berlin, ihr Liebster Arnold in Paris. Dass die Grenzen dicht sind, nutzen sie, um einander sogar näher zu kommen als zuvor.
Eigentlich sollte Arnolds Geburtstag am 21. März die gemeinsame Zukunft des Paares einläuten. Svenja Arenz wollte ihn mitsamt seinem Klavier in Paris abholen und beide in einem Transporter mit in ihre Wahlheimat Berlin nehmen. Ein erster Schritt zum geplanten Zusammenziehen. Doch wenige Tage vor diesem Datum wurden die Grenzen geschlossen, in Paris gilt eine strenge Ausgangssperre. Für Svenja und Arnold bedeutet das: Vorerst haben sie keine Chance, einander zu sehen. Doch statt sich voneinander zu entfernen, nutzen die beiden diese Zeit der Trennung, um sich sogar noch näher zu kommen.
Svenja (32) ist gebürtige Düsseldorferin, lebt aber schon lange in der Bundeshauptstadt. Die studierte Sozialwissenschaftlerin arbeitet als pädagogische Projektleiterin mit Migranten und Geflüchteten. Im Oktober 2017 organisierte sie mit ihrem Team eine große Konferenz in Berlin zu dem Thema. Dort traf sie Arnold. Auch der Halbfranzose ist eigentlich Nordrhein-Westfale, verließ mit der Familie seinen Geburtsort Siegburg aber schon als Baby gen französische Metropole. Seine Mutter lebt inzwischen ebenfalls in Berlin und ist Nachbarin einer Freundin von Svenja – Zufall oder Schicksal wollte, dass sie so von dem klinischen Psychologen erfuhr, der in Paris unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betreut. Und ihn zu ihrer Tagung als Sprecher einlud.
Was folgte, war, „wie das halt so ist“, erinnert sich Svenja. Es machte schnell Klick. Zwei Monate später war sie zum Gegenbesuch in Paris – auf einer Fachkonferenz, die wiederum er organisiert hatte, und ebenfalls als Sprecherin. „Danach stand eigentlich fest, dass wir zusammenbleiben wollen.“
Er schildert seinen Tag in Quarantäne – sie lebt ihn nach
Und für gewöhnlich ist das ja auch kein großes Problem. Berlin und Paris sind hervorragend angebunden. „Umwelttechnisch wollte ich nicht unbedingt immer fliegen – aber es ließ sich kaum verhindern“, erzählt Svenja. Mit dem Bus braucht sie zwölf Stunden, für einen Wochenendtrip kaum praktikabel. Und doch schaffte das Paar es in der Regel alle zwei Wochen, sich zu treffen – mal auf französischer, mal auf deutscher Seite. Aber Regeln gelten in der Welt von Corona ja nicht mehr. „Es ist eine ganz neue Situation für uns.“ Das letzte Mal hat Svenja ihren Arnold am 22. Februar gesehen. Mehr als sechs Wochen ist das jetzt her.
„Wir versuchen, das Ganze sportlich und humorvoll zu nehmen“, meint Svenja. Neben täglichen Telefonaten haben sie sich ein Spiel überlegt, um einander besser kennen zu lernen. „Wir bekommen ja vom Alltag des anderen wenig mit“, erklärt die 32-Jährige. Und das wird jetzt geändert: Arnold hat ihr minutiös aufgeschrieben, wie ein Tag in Quarantäne für ihn aussieht – und sie lebt ihn dann nach. Andersherum genauso.
Das stellt Svenja vor große Herausforderungen. „Er verlässt die Wohnung im Moment ja fast gar nicht.“ Dafür widmet er sich seinen beiden Hobbys umso intensiver: chinesische Sprache und Musik. Sinologie hatte der 29-Jährige im Studium als zweites Fach; zudem spielt der leidenschaftlich Klavier und komponiert selbst. „Ich kann weder Chinesisch noch bin ich musikalisch“, lacht die Berlinerin. Aber nun wird sie sich an den Computer setzen und Schriftzeichen studieren. „Was tut man nicht alles für die Liebe?!“ Ein eigenes Piano wollte sie sich für die Aktion dann doch nicht anschaffen. „Ich habe mir jetzt eine gebrauchte Gitarre gekauft und werde einige Stunden darauf üben. Das sind eben die zwei Dinge, die gerade Arnolds Leben bestimmen.“ Und auf diese Weise kann sie es doch ein Stück weit teilen.
Auch ihr Liebster muss sich warm anziehen, „vor allem früher aufstehen als sonst“, sagt Svenja und lacht. Ein Tag in ihrem Leben beginnt üblicherweise mit Yoga oder Pilates. „Ich denke, ich werde gemein sein und ihm Yoga geben – das ist noch schwieriger!“ Während sie sich am Tauschtag ein Steak braten muss, gibt es für ihn mal einen leichten Salat zu Mittag. Dann wird es schwieriger: Svenja nutzt die Tage, an denen sie nicht ins Büro muss, derzeit vor allem für lange Spaziergänge – immerhin lebt sie im Stadtteil Spandau direkt an der Havel. Aber für ihren Arnold könnte ein Spaziergang derzeit ein hohes Bußgeld bedeuten. „Das will ich natürlich nicht.“ Also hat sie ihm einige Seiten aus Max Czolleks „Desintegriert euch!“ abfotografiert, das sie gerade liest; Arnold wird eine Folge „Queer Eye“ auf Netflix schauen müssen. Und auf jeden Fall seine Familie anrufen. „Das mache ich im Moment nämlich jeden Tag.“ Das Kontaktverbot kann paradoxerweise nicht nur Liebesverhältnisse, sondern auch Familienbande stärken.
Können sie ihren gemeinsamen Plan für 2020 noch umsetzen?
Dass die Beziehung zu Arnold die Zeit der geschlossenen Grenzen nicht überstehen könnte – daran denkt Svenja nicht einen Moment. Dass sie ihren Freund vermisst, lässt sie zu. Aber sie weiß auch: „Das ist Beschweren auf hohem Niveau. Ich arbeite mit einer Frau, die ihren Mann seit drei Jahren nicht gesehen hat, weil er in Griechenland festhängt.“ So etwas rückt die Perspektive gerade.
„Die Grenzen öffnen, wenn sie wieder öffnen. Gesundheit geht vor“, findet die 32-Jährige. „Aber vielleicht sehe ich das anders, wenn ich in sechs Monaten immer noch nicht reisen darf.“ Sie lacht auf – aber so richtig lustig ist der Gedanke für die junge Frau natürlich nicht. Einstweilen hofft sie, dass der Spuk bald vorbei ist und der gemeinsame Plan für 2020 Realität werden kann: Dass Arnold zu ihr nach Berlin zieht. Mitsamt seinem Klavier.