Porträt: Richard David Precht - Marx statt Lassie und Coca Cola
Der Solinger Autor Richard David Precht hat seine linke Kindheit als Buch verarbeitet – jetzt wurde es verfilmt.
Düsseldorf. Bereits seit Monaten steht sein populär-philosophisches Sachbuch "Wer bin ich - und wenn ja, wie viele" auf den Bestsellerlisten. Derzeit entwickelt sich der 43-jährige Autor Richard David Precht zum Dauergast der Talkshows.
Nächste Woche, wenn der autobiografische Film "Lenin kam nur bis Lüdenscheid" in die Kinos kommt, wird der Wirbel um seine Person vermutlich noch zunehmen.
Recht ist ihm das nicht. "Das ist ein Ausnahmezustand, das hört im Sommer sicher auf", hofft der smarte Publizist. Der Dokumentarfilm, basierend auf Prechts gleichnamigem Buch, erzählt die Geschichte seiner Kindheit in Solingen, die etwas anders war.
Denn seine Eltern waren überzeugte Marxisten, erzogen die fünf Kinder (zwei von ihnen aus Vietnam adoptiert) antiautoritär und im Sinne der linken Ideale, an die man im Zuge der 68er noch uneingeschränkt glaubte. "Ich wurde für ein Leben erzogen, das ich nicht leben konnte und auf eine Gesellschaft vorbereitet, die nie kam", schreibt Precht im Buch.
Im Gespräch mit unserer Zeitung bestätigt er: "Ich fühlte mich nicht auf die Zukunft vorbereitet." Seine engagierte Mutter habe ihn nicht so sehr politisch als feministisch erzogen. Wie sich das auswirkte?
"Naja, in der Pubertät musste ich feststellen, dass mein softer Männertyp nicht ankommt." Mittlerweile ist Precht mit der Luxemburger Fernsehjournalistin Caroline Mart verheiratet und hat ein leibliches und drei Stiefkinder.
Richard David Precht wurde geboren, "an dem Tag, an dem der Karl-May-Film ,Unter Geiern’ Premiere feierte", wie es im Buch heißt. Die Klingenstadt war für seine aus Hannover hergezogenen Eltern damals "traurige Provinz". Die Klassenkämpfe fanden woanders statt.
So schufen sich der Industriedesigner für Haushaltsgeräte und seine Frau ihren linken Kosmos und suchten alternative Lebensformen. Für die Kinder war das nicht immer leicht, wie sie in dem Dokumentarfilm von André Schäfer erzählen.
Alles Amerikanische war im Hause Precht verpönt. Während andere Kinder mit Lassie, Flipper & Co. aufwuchsen, gab es für Richard David und seine Geschwister höchstens Asterix-Comics, denn die "waren französisch und irgendwie subversiv". Statt Abba und Pink Floyd hörte man Degenhardt und Süverkrüp. Selbst heute habe er kein Verhältnis zur Popmusik, gibt Precht zu.
Schon als Dreijähriger skandierte der kleine Richard: "Ho-Ho-Ho-Chi-Minh", ohne zu wissen, was das genau bedeutete. Kommunisten waren Menschen, die für das Gute sind, und die DDR war das schönste Land der Welt. Zumindest empfand Precht es damals so.
1974 verbrachte er erstmals einen Urlaub im Zeltlager der DKP in Lüdenscheid: "Alle waren links, und alles war gut." Hier schien die Weltrevolution geglückt, bis in das 30 Kilometer entfernte Solingen ist Lenin dagegen nie gekommen - daher der Titel des Buchs.
Detailreich lässt er das Leben in diesem linken Universum wieder aufleben und verbindet es mit den politischen Ereignissen der Zeit: Vietnam-Protest, RAF, die Gründung der Grünen.
Wie er sich an so viele Dinge noch erinnern kann? "Ich habe das gute Gedächtnis von meinem Vater geerbt. Ich hätte ein dreimal so dickes Buch schreiben können", sagt Precht, der heute in Köln und Luxemburg lebt.