Prozess: Späte Sühne für Hatan Sürücu
Der Freispruch für zwei Brüder der ermordeten Deutsch-Türkin wurde aufgehoben.
Leipzig. Sie wurde Aynur, Mondstrahl, genannt. An einer einsamen Bushaltestelle in Berlin-Tempelhof trafen mehrere Schüsse aus nächster Nähe die 23-jährige Hatan Sürücu in Gesicht und Oberkörper. Die Ermittler sprachen von "einer Art Hinrichtung". Der Täter: ihr 18-jähriger Bruder. Rund ein halbes Jahr nach der Bluttat wird der der so genannte Ehrenmord-Prozess um den Tod der Deutsch-Türkin neu aufgerollt. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Leipzig hob gestern die Freisprüche für ihre beiden älteren Brüder auf und wies den Fall zur Neuverhandlung an das Berliner Landgericht zurück. Der BGH folgte damit dem Revisionsantrag der Bundesanwaltschaft.
Die aus einer streng religiösen muslimischen Familie stammende Hatun war im Februar 2005 wegen ihres westlichen Lebensstils erschossen worden. Das Berliner Landgericht hatte 2006 nur ihren jüngsten Bruder rechtskräftig zu neun Jahren und drei Monaten Jugenstrafe verurteilt. Er übernahm die alleinige Verantwortung für den Mord. Zwei mitangeklagte Brüder im Alter von heute 26 und 28 Jahren waren aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden.
Die frühere Freundin des Schützen hatte hingegen unter Berufung auf intime Geständnisse des 18-Jährigen von einem Mordkomplott berichtet, an dem auch die älteren Brüder beteiligt gewesen seien. So soll der 28-Jährige die Mordwaffe besorgt und der 26-Jährige bei der Ermordung der Schwester Schmiere gestanden haben. Den Berliner Richtern hatten die Aussagen der damals 16 Jahre alten Schülerin nicht für einen Schuldspruch ausgereicht. Der BGH kam nun zu einem anderen Ergebnis: Der Todesschütze habe seiner Freundin glaubhaft berichtet, dass seine Brüder in das Verbrechen verwickelt seien, sagte der Vorsitzende Richter des 5. Strafsenats, Clemens Basdorf.
Seit der Tat steht die Familie Sürücus in der Kritik. Zuvor war bereits gegen Angehörige wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs an Hatun ermittelt worden. Der Vater soll dem Schützen nach seiner Tat eine goldene Uhr als Belohnung für den Mord an der Schwester geschenkt haben. Experten zufolge beauftragen Väter für derartige Morde gezielt den jüngsten Sohn der Familie. Eine Schwester sagte: "Hatan ist im Paradies. Ihr geht es gut." Einer ihrer Brüder wurde von einer türkisch-islamischen Zeitung zitiert: "Vor drei Jahren habe ich den Kontakt abgebrochen. Damals hatte meine Schwester wie eine Fremde zu leben begonnen. Sie sagte, sie wollte sich ihre Partner selbst aussuchen."
Das Opfer Hatan Sürücu wurde mit 15 Jahren in der Türkei von ihren Eltern mit einem Cousin zwangsverheiratet. Sie trennte sich von ihm und ging mit 17 schwanger nach Berlin. Sie legte das Kopftuch ab, machte in einem Mutter-Kind-Heim den Hauptschulabschluss nach und absolvierte eine Ausbildung zur Elektrotechnikerin. Einen Monat nach ihrer Ermordung hätte sie ihre Gesellenprüfung abgelegt. Sie war dreimal verheiratet. Ihr Sohn lebt heute in einer Pflegefamilie.
Die Reaktion Türkischstämmige Schüler einer Schule nahe des Tatorts sorgten für Entsetzen, als sie die Ermordung Sürücus mit den Worten billigten, sie habe schließlich "wie eine Deutsche" gelebt.