Roter Teppich auf Klinik-Flur
Service und Ausstattung der Krankenhäuser werden immer besser. Doch die Kassenpatienten müssen dafür tief in die Tasche greifen.
Essen. Teppichboden, Flachbildfernseher am Bett, Besucherlounge mit Ledersesseln. Die Rede ist nicht von einem Vier-Sterne-Hotel, sondern von den neuen Komfortstationen in den Krankenhäusern. Betuchte Patienten lassen sich hier stilvoll gesund pflegen und liegen damit im Trend. Für Privatpatienten wird der Service besonders groß geschrieben. Kassenpatienten zahlen hierfür etwa im Essener Knappschaftskrankenhaus bis zu 150 Euro pro Nacht.
Björn Kasper ist Marketingleiter der Kliniken Essen-Mitte und kommt ins Schwärmen, wenn er durch die Luxus-Station geht. „In der Lounge gibt es ein Frühstücksbuffet für die Patienten, jederzeit können sie Zeitungen, Torte oder Kaffee ans Bett bestellen“, sagt er. Die Wünsche werden nicht von einer Schwester im weißen Kittel, sondern vom Hotelfachmann im dunklen Anzug umgehend erfüllt.
Rita Hönscheid, Patientin auf der Essener Komfortstation, hat klare Vorstellungen bei ihrer Klinik-Wahl: „Ich suche mir das Krankenhaus in erster Linie nach dem Komfort aus. Wünsche sollen schnell erfüllt werden, außerdem möchte ich vom Chefarzt behandelt werden.“ Doch nur nach dem hübschen Ambiente soll auch nach den Vorstellungen von Kasper niemand sein Krankenhaus aussuchen. Im Vordergrund stünden immer noch die medizinischen Leistungen.
Nach einer Studie im Auftrag des Wort & Bild Verlags glauben 83 Prozent der Deutschen, dass gesetzlich Versicherte Patienten zweiter Klasse sind. Lounge und Minibar für Privatpatienten könnten diesen Eindruck verstärken, meint Prof. Stefan Zimmer, Prodekan der Medizinischen Fakultät an der Uni Witten-Herdecke. Aber: „Reiche Patienten schließen auf diese Art Finanzlücken der Krankenhäuser.“
Moritz Quiske von der Deutschen Krankenhausgesellschaft in Berlin ist sich sicher, dass ein schöneres Ambiente zu einer schnelleren Heilung führt. „Empörend und grotesk“ findet er die Behauptung, Krankenhauszimmer mit Hotelstandard würden den Glauben an die Zwei-Klassen-Medizin stärken. Patienten forderten den höheren Standard schließlich. Dirk Albrecht, Geschäftsführer der Contilia Gruppe, einem Krankenhausträger in NRW, ist dagegen weniger begeistert von dem Luxus-Trend.
Kliniken sollen in erster Linie Orte sein, an denen pflegerische Hilfe geleistet wird. „Wenn wir als Betreiber von Krankenhäusern immer größeren Wert auf nichtmedizinische Faktoren legen, besteht die Gefahr, dass Patienten unsere Kompetenz nur noch über die Größe der Flachbildschirme definieren.“
Florian Lanz, Pressesprecher des Verbandes für die gesetzlichen Krankenkassen (GKV), mahnt, die Kliniken sollten an ihr Kerngeschäft denken. „70 Millionen Deutsche sind in der gesetzlichen Krankenkasse. Da sind die Krankenhäuser gut beraten, sich nicht nur um private Zusatzleistungen zu kümmern.“ Prinzipiell stehe der GKV dem Trend zu mehr Komfort aber neutral gegenüber, solange er nicht zulasten der gesetzlich Versicherten gehe.
Die Patientin Hönscheid kann die Aufregung nicht verstehen. „Es steht doch jedem frei, auf einer solchen Station zu liegen“, sagt sie — und bekommt vom Hotelfachmann der Station ein Stück Torte am Bett serviert.