Todesflug AF 447: Piloten für Extremfall ungeschult
Paris (dpa) - Eine Extremsituation in 11 500 Metern Höhe hat nach ersten Erkenntnissen vor zwei Jahren die Piloten eines Air-France-Airbus überfordert. Das meint zumindest die französische Behörde, die den Todesflug AF 447 untersucht.
Air France ist anderer Meinung.
Ungenügendes Training der Piloten sowie fehlerhafte oder verwirrende Anzeigen haben den Absturz eines Air-France-Airbus vor zwei Jahren nach Ermittler-Erkenntnissen begünstigt. Als Konsequenz aus der bisherigen Unfall-Analyse gab die französische Fluguntersuchungsbehörde BEA in einem Zwischenbericht mehrere Sicherheitsempfehlungen heraus. Sie beziehen sich auf den Flugbetrieb, die Flugzeugzulassung und die Flugschreiber. Die Behörde, die ihre Arbeiten bis Ende Juni 2012 beenden will, listet eine Serie von Faktoren auf, die zu dem Unglück beigetragen haben. 228 Menschen starben bei dem Absturz am Pfingstmontag 2009, darunter 28 Deutsche.
Die Piloten des abgestürzten Airbus A330-200 reagierten nach Ansicht der Ermittler in den letzten Minuten des Fluges nicht angemessen auf den Verlust der Geschwindigkeitsanzeige und den Abriss der zum Fliegen notwendigen Strömung an den Tragflächen. Sie seien für eine solche Situation offensichtlich nicht geschult gewesen. Zudem habe es keine Anzeige für den Anstellwinkel der Tragflächen gegeben; eine derartige Anzeige gibt Aufschluss über die Lage des Flugzeugs im Raum. Keiner der Piloten habe die Situation erfasst. Trotz der Alarmsignale der sogenannten Überziehwarnung sei sich die Besatzung nicht der Tatsache bewusst gewesen, dass ihr Flugzeug längst nicht mehr fliegt, sondern schon durchsackt.
Die Passagiere seien zudem nicht über eine Notlage informiert worden, notiert die BEA. In weniger als einer Minute nach dem Abschalten des Autopiloten hätten die manuellen Manöver des fliegenden Co-Piloten das Flugzeug aus seiner stabilen Fluglage gebracht. Ursache für das abrupte Abschalten des Autopiloten war eine ungenaue Geschwindigkeitsanzeige wegen einer vereisten Pitot-Sonde. Konkret empfiehlt die BEA die Einführung spezieller Übungen ins Trainingsprogramm der Linienpiloten. Sie sollen in großen Höhen den schnellen Wechsel vom automatischen auf den manuellen Flug üben - speziell auch bei ungenauen Geschwindigkeitsanzeigen. Zudem könnten neue Richtlinien ein besseres Teamwork im Cockpit gewährleisten.
Die deutsche Lufthansa hat nach eigenen Angaben bereits kurz nach dem Unglück ihr Ausbildungsprogramm für die Piloten angepasst. Entsprechende Extremsituation seien allerdings auch schon vorher Thema gewesen, sagte ein Sprecher der dpa.
Weitere Sicherheitsempfehlungen der BEA beziehen sich auf technische Einrichtungen. So sollten die zuständigen Behörden die Installation einer bestimmten Anzeige prüfen. Sie soll beim abrupten Abschalten des Autopiloten und dem damit einhergehenden Wechsel zum manuellen Fliegen die Lage des Flugzeugs im Raum verdeutlichen. Zudem sollten spezielle Rekorder die Anzeigen im Cockpit aufzeichnen - genaue Regeln sollten die Auswertung dieser Bilder beschränken.
Flugzeughersteller Airbus begrüßte den Bericht als wichtigen Meilenstein auf dem Weg zum völligen Verständnis der verhängnisvollen Ereignisse, die zum Absturz führten. Air France dagegen verwies darauf, dass zum gegenwärtigen Stadium der Ermittlungen nichts die technischen Fähigkeiten der Besatzung infrage stelle. Die Airline wies vielmehr auf ein irreführendes Verhalten der sogenannten Überziehwarnung hin, die das drohende Durchsacken eines zu langsam werdenden Flugzeugs anzeigt.
Im Unglücks-Airbus hatte sie zwar knapp eine Minute lang gewarnt; sie war danach aber verstummt, weil der Bordrechner eine derart geringe Geschwindigkeit im Reiseflug als unwahrscheinlich und damit falsch verwarf. „Das irreführende Einsetzen und Schweigen der Überziehwarnung - das dem aktuellen Flugzustand des Flugzeugs widersprach - hat erheblich zu den Problemen der Besatzung bei einer Analyse der Situation beigetragen“, heißt es in der Air-France-Erklärung. Das Unternehmen habe mehrere der BEA-Empfehlungen bereits umgesetzt.
Zahlreiche Hinterbliebene der Absturz-Opfer zeigten sich von den neuen Untersuchungsergebnissen nicht überzeugt. „Im Moment kümmert man sich vor allem um Pilotenfehler statt um technische Aspekte“, sagte Danièle Lamy, die bei dem Unglück ihren 27-jährigen Sohn verloren hat. „Ich behaupte ja nicht, dass es ein technisches Problem war, aber man darf auch nicht einfach den Piloten die Schuld in die Schuhe schieben“, sagte sie. Auch für den Vater einer 20-jährigen Tochter lässt der Bericht der Fluguntersuchungsbehörde noch zu viele Fragen offen. „Ich möchte wissen, was passiert ist. Das weiß ich auch nach diesem Bericht heute noch nicht“, sagte er.