Tödliche Schüsse auf Tochter bei Versöhnungsversuch

Stolzenau (dpa) - Kleinstadt unter Schock: Nach langem Familienstreit hat ein Mann seine 13-jährige Tochter vor den Augen der Mutter und anderer Zeugen im niedersächsischen Stolzenau erschossen. Der 35 Jahre alte Vater war am Tag nach der Tat in dem 7300-Seelen-Ort immer noch auf der Flucht.

Die Polizei suchte mit einem Hubschrauber und Spürhunden nach dem Mann und der Pistole, aus der er am Montag mehrmals gefeuert hatte. Doch die Suche nach dem 35-Jährigen, gegen den Haftbefehl wegen Mordes erlassen wurde, blieb zunächst erfolglos. „Wir haben im Moment keinen konkreten Hinweis auf seinen Aufenthaltsort“, sagte Polizeisprecherin Gabriela Mielke am Dienstagabend.

Hintergrund des Verbrechens ist nach Angaben der Polizei offensichtlich ein seit langem andauernder Streit in der jesidischen Familie, die aus dem Irak stammt und im Jahr 2008 in den Kreis Nienburg gekommen ist. Die 13-Jährige zog nach Angaben des Landkreises deshalb vor rund sechs Monaten bei ihren Eltern aus. Das Jugendamt unterstützte sie dabei. Das Mädchen habe zuletzt in einem Heim außerhalb des Kreises gelebt, sagte Sprecher Torsten Rötschke.

Am Montag trafen sich die Eltern und die Tochter auf Anregung des Jugendamtes in Stolzenau in einer pädagogisch-psychologischen Praxis für Mediation zu einem Versöhnungsgespräch. Dabei machte die 13-Jährige klar, dass sie nicht in ihre Familie zurückkehren wolle. Vor der Tür feuerte der Vater daraufhin vor den Augen der Mutter und anderer Zeugen auf seine Tochter. Das Mädchen wurde nach Polizeiangaben mehrmals getroffen.

Anschließend flüchtete der mutmaßliche Mörder zu Fuß in eine Nebenstraße, wo er sein Auto abgestellt hatte. Seither ist er vermutlich in einem grauen Golf auf der Flucht.

Es habe innerhalb der Familie zwar Spannungen gegeben, sagte Kreissprecher Rötschke. „Dass es zu einer derartigen Eskalation kommen könnte, war aber nicht vorauszusehen.“

Der Vorstand der kurdisch-jesidischen Gemeinde im Kreis Nienburg reagierte mit Entsetzen auf das Verbrechen. In einem Gespräch mit der Tageszeitung „Die Harke“ sagte ein Vertreter, der namentlich in der Öffentlichkeit nicht genannt werden wollte, die Tat habe nichts mit der Religion oder der Glaubensgemeinschaft zu tun. Hintergrund seien allein familiäre Probleme.

„Das schreckliche Ereignis hat viele Menschen in Stolzenau tief betroffen gemacht“, sagte Bürgermeister Bernd Müller. „Auch wenn das Opfer nicht aus dem Ort stammt.“ Die unfassbare Tat hinterlasse ein beklemmendes Gefühl, zumal viele Fragen offen seien. Am Nachmittag versammelten sich rund 30 Menschen am Tatort, um der Toten zu gedenken. „Es ist ein tragisches Unglück“, sagte der evangelische Pastor Karsten Gelshorn.

Jesiden sind Kurden vor allem aus dem Irak, der Türkei und Syrien. Ihre Religion, in der viele Glaubensrichtungen verschmolzen sind, stammt nach eigenem Verständnis aus vorislamischer, wenn nicht gar aus vorchristlicher Zeit. Der kurdisch-jesidischen Gemeinde in Nienburg und Umgebung gehören rund 1000 Menschen an.