Unheilig: Mit dunklen Tönen an die Spitze
Musik: Auf den ersten Blick wirkt der Sänger der Band „Unheilig“ wie ein Bösewicht. Doch schnell wird klar: „Der Graf“istbrav.
Köln. Man muss nur wenige Bilder im Internet gesehen haben, um zu wissen, dass man Deutschlands neuesten Popstar eigentlich nicht treffen will. "Der Graf" ist glatzköpfig, hat schwarz lackierte Fingernägel und unter beiden Mundwinkeln einen Dreiecksbart. Dazu Dracula-Blick und satanisches Grinsen.
Mit mulmigem Gefühl betritt man ein abgewracktes Kölner Bürogebäude im Hinterhof. Von der Straße her nicht einsichtig. Werden hier schwarze Messen gefeiert? Es geht durch einen langen schmalen Gang. Eine Tür öffnet sich, dahinter ein hagerer Mann. "Ich habe einen Termin beim Grafen." Der Typ deutet auf ein abgewetztes Sofa. "Setzen Sie sich, der Graf kommt gleich."
Nach wenigen Augenblicken Schritte im Flur. Da ist er. Ziemlich groß, ziemlich kahl - und ziemlich sympathisch. Wie redet man ihn an? "Ich sag immer: Sagt einfach ,Herr Graf, wie geht’s dir?’"
Der Herr Graf - er könnte Mitte 30 sein - trägt ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. Sonst aber ist er im Vergleich zu den Fotos im Internet stark verändert. Die Nägel sind nicht mehr schwarz und der Blick gar nicht so böse. "Vor vier Jahren hab’ ich aufgehört, mir die Finger zu lackieren", erzählt er. "Es gibt natürlich Leute, die sagen ,Ach ja, jetzt wird er kommerziell.’ Aber es war nie meine Intention, nur Leute aus einer bestimmten Szene als Hörer zu haben."
Gemeint ist die sogenannte Gothic-Szene, die sich vorwiegend schwarz kleidet und mit Themen wie Tod und Vergänglichkeit auseinandersetzt, und in der die Band "Unheilig" lange Jahre ein Geheimtipp war. Damals trat der Sänger noch in Kutte auf. Aber langsam entstieg er der Subkultur, und dieses Jahr ging’s Schlag auf Schlag. Sein Lied "Geboren um zu leben" lief rauf und runter im Radio. Das Album "Große Freiheit" schoss an die Spitze der Charts (Kasten). Gerüchten zufolge heißt der Graf im wahren Leben Bernd Heinrich Graf. Er will das nicht kommentieren.
"Das ist einfach, um mein Privatleben da rauszuhalten, deshalb hab’ ich das Pseudonym. Atze Schröder heißt ja auch nicht Atze Schröder. Ich betreibe halt ein bisschen Geheimniskrämerei. Wie das Rumpelstilzchen - niemand weiß, wie ich heiß."
Er redet wie ein Wasserfall, und je mehr er erzählt, desto klarer wird: Dieser "Graf" beißt nicht. Er stottert höchstens ein bisschen. Als Kind war er extrem schüchtern, hat nur das Nötigste gesprochen. "So bin ich auch zur Musik gekommen. Da konnte ich klimpern auf meiner Orgel und brauchte nicht zu reden, und die Leute haben mir zugehört."
Seine Texte schreibt er selbst. Sie handeln vom Meer und von der Freiheit und spielen stellenweise ins Grönemeyerhafte. "Ich war immer ein nachdenklicher Mensch und konnte das dann aufschreiben", sagt der Graf.
Schüchtern, nachdenklich, uneitel - woher dann das Fledermaus-Image? Hat er was mit Satanismus zu tun? "Nein, auf gar keinen Fall", beteuert er. "Ich bete jeden Tag. Ich glaube auch an dieses klassische Paradies, wie es von der Kirche gepredigt wird. Aber ich konnte nie was mit den ganzen Geboten und Gesetzen anfangen. Und wer so denkt, ist in den Augen aller Religionen ein Unheiliger. Daher kommt der Name."
Der Erfolg ist ihm nicht zugefallen, er hat zehn Jahre dafür gearbeitet. Morgens um acht im Studio, mittags eben nur mit dem Hund raus. Die Familie ist ihm wichtig. Und heimatverbunden ist er. "Ich bin in Aachen geboren, und da will ich auch bleiben." Ganz schön brav, "der Graf". Und gar kein Bösewicht.