Wimbledons wichtigster Mann
Eddie Seaward pflegt den berühmtesten Rasen der Welt – schon seit 20 Jahren.
London. Wenn ein Mensch auf dieser Welt Gras wirklich wachsen hören kann, dann Eddie Seaward. Er hegt, bürstet und beschützt den Rasen von Wimbledon, jenes englische Nationalheiligtum, auf dem in zwei Wochen wieder die Blicke von Millionen Zuschauern liegen. Höchste Zeit für einen Besuch beim Rasenflüsterer, dem vielleicht wichtigsten Mann von Wimbledon.
"Erst kommt das Tennis, dann der Rasen", sagt Eddie. Oder vielmehr: sagt Eddies Vernunft. Und die Sportwelt. Und die Vorschriften. Eddies Herz jedoch weiß: Wimbledon ist berühmter für sein Gras als die Weltklasse-Spieler. Die wollen meist nicht mehr als einen harten, festen Untergrund zum Sieg, während er als "Head Groundsman" nach zwanzig Dienstjahren auf der grünen Bühne wie von einem alten Freund spricht.
"Er hat echte Nehmerqualitäten", sagt Eddie über sein deutsches Weidelgras. Auf allen 41 Plätzen des "All England Lawn Tennis Club" sprießt seine Lieblingssorte aus dem Lehmboden. Und das nach strengen Regeln: Acht Millimeter lang sind die Halme, die Farbe nicht zu hell und nicht zu dunkel, kein Moos, kein Unkraut, dafür aber perfekte Rasenmäherstreifen.
Das Ganze sieht mehr nach Skulptur denn Natur aus und bedeutet für Eddies 20-köpfiges Team einen ewigen Kampf gegen die Elemente. Morgens wecken sie das Grün, indem sie ihm die wärmende Decke wegziehen. Kälte oder Feuchtigkeit tun ihm nämlich gar nicht gut. Drückt Frühtau die Halme zu Boden, droht Pilzgefahr, und Eddie rückt mit großen Eisenbürsten an, um sie aufzurichten. Dann dürfen Sonne und Wind sie fönen, aber bloß nicht zu lang.
Bemannte Rasenmäher düsen während des Wimbledon-Turniers, das am 22. Juni beginnt, täglich über die Plätze und kappen die Rasenspitzen um einen halben Millimeter. Pralle Sonne muss das Grün dann genauso aushalten wie harte Bälle, Fußtritte oder Frust-Attacken mit Tennisschlägern nach einer Niederlage. Zwar hält das neue Glasdach über den Centre Court Regengüsse ab sofort draußen.
Das bedeutet für den obersten Rasenwart aber neue Unwägbarkeiten: "Die Atemluft der Zuschauer bei geschlossenem Dach, vielleicht auch ihre durchnässte Kleidung, all das könnte das Gras feucht und rutschig machen", sagt Eddie. Er ist 65 Jahre alt, hat seinen Erfahrungsschatz so kurz vor der Rente bereits an Vize-Grasflüsterer weitergegeben, aber spricht noch immer von einem Mysterium: "Der Rasen lehrt uns jedes Jahr neue Lektionen."
Zu den letzten Vorbereitungen vor dem großen Turnier gehört das Anrühren von Rasen-Schminke, Eimerchen voller Lehm, mit dem Helfer während der Spiele Löcher reparieren können. Paste rein, Rasenschnitt obendrauf, fertig. "Die Spieler würden bei einem Wutanfall jedoch eher ihren Schläger als den Rasen beschädigen", warnt Eddie gelassen.
Er muss das wissen, denn vor Turnierbeginn überprüft er die Grünflächen mit einem Impulshammer auf ihr Rückprall-Potenzial. Schon, um Kritik von Spielern vorzubeugen. Die Plätze seien nicht mehr so schnell wie früher, hieß es mal. Dabei, betont Seaward, habe er es nur geschafft, mehr Luftbewegung zwischen die Halme zu geben. "Die Bälle springen härter und höher", betont er. Und der schöne "Bounce" - die Sprungkraft - ist immerhin Hauptlebensziel seines Rasens.