Jäger und Sammler lebten lange mit Ackerbauern zusammen
Washington/Mainz (dpa) - In einer Höhle graben Wissenschaftler Knochen von Steinzeitmenschen aus, die dort über Jahrtausende hinweg bestattet wurden. Es waren sowohl Bauern als auch Jäger und Sammler.
Die Gruppen haben demnach deutlich länger miteinander gelebt als angenommen.
Das zeigen Forschungen unter Leitung der Mainzer Anthropologen Ruth Bollongino und Joachim Burger. Bislang seien Wissenschaftler davon ausgegangen, dass die Wildbeuter recht bald nach Ankunft der sesshaften Bauern verschwanden. „Tatsächlich behielten die Nachfahren der mittelsteinzeitlichen Menschen ihre Lebensweise als Jäger und Sammler zunächst bei“, sagte Bollongino vom Institut für Anthropologie der Johannes Gutenberg-Universität. Die Studie ist in der Fachzeitung „Science“ erschienen.
Zum Ende der vergangenen Eiszeit vor etwa 10 000 Jahren lebten in Europa die Nachfahren der ersten anatomisch modernen Menschen. Sie ernährten sich von der Jagd und dem Sammeln wilder Gräser, Früchte und Knollen. Erste Anzeichen einer bäuerlichen Lebensweise in Mitteleuropa sind etwa 7500 Jahre alt. Bollongino fand nun Beweise für steinzeitliche Parallelgesellschaften bis vor 5000 Jahren. Dazu untersuchte sie Knochen von 25 Menschen, die in der westfälischen Blätterhöhle über einen Zeitraum von mehr als 4000 Jahren bestattet worden waren.
Die Wissenschaftler sind sich sicher, dass die Jäger und Sammler in der gleichen Höhle ihre Toten bestatteten wie die Ackerbauern. Wildbeuter-Frauen heirateten bisweilen in die Bauerngesellschaften ein, während sich keine genetischen Linien der Bauersfrauen bei den Jägern und Sammlern finden. „Dieses Heiratsmuster ist bekannt. Bauersfrauen empfinden die Einheirat in Wildbeuter-Gruppen als sozialen Abstieg“, erklärte Bollongino.
Das Forscherteam spürte auch der Frage nach, welchen Einfluss beide Gruppen auf den Genpool der heutigen Europäer hatten. Demnach sind weder Jäger und Sammler noch Ackerbauern alleine die Vorfahren. „Es sind die Mischpopulationen aus beiden, die potenziell die direkten Vorfahren heutiger Mitteleuropäer darstellen“, erklärte der Mainzer Populationsgenetiker Adam Powell.
Wie frühzeitliche Völkerwanderungen den genetischen Pool in Europa beeinflusst haben, erforschte auch eine Gruppe unter Federführung des Mainzer Biologen Guido Brandt. Gemeinsam mit Kollegen in Halle untersuchte er die Erbsubstanz von 364 Menschen, die vor rund 7500 bis 3500 Jahren in der Mittelelbe-Saale-Region lebten. Die ebenfalls in „Science“ veröffentlichten Daten zeigen unter der anderem den Einfluss von Jägern und Sammlern aus Skandinavien. Die Forscher gehen davon aus, dass es einen Austausch mit den mitteleuropäischen Kulturen gab.