Abschiebung ist immer eine Ausreise wider Willen
„Forum Flughäfen“: Die Zahl der Abschiebungen an Airports in NRW ist sprunghaft gestiegen.
Düsseldorf. Eines will Udo Peltzer gar nicht beschönigen: „Eine Abschiebung ist immer eine staatliche Zwangsmaßnahme und stellt einen tiefen Eingriff in das Leben der Betroffenen dar. Es bedeutet, dass alle vorherigen Maßnahmen, die ausreisepflichtigen Personen zu einer freiwilligen Rückkehr in ihr Herkunftsland zu bewegen, aus welchen Gründen auch immer nicht gegriffen haben“, sagt der Leiter der Bundespolizei-Inspektion am Flughafen Düsseldorf.
Dass dieser Vorgang so menschenwürdig und transparent wie möglich abläuft, hat sich Dalia Höhne zur Aufgabe gemacht. Als sogenannte Abschiebebeobachterin bei der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe verfolgt die 35-Jährige die Abschiebepraxis der Behörden an den NRW-Flughäfen Düsseldorf und Köln-Bonn und ist außerdem Ansprechpartnerin für die ausreisepflichtigen Personen. „Dabei habe ich die Rolle einer objektiven Zeugin und kann zugunsten aller Beteiligten aussagen“, erklärt sie. Dabei gehe es vor allem um die Einhaltung humanitärer Standards und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. „Prinzipiell gilt die Maxime: Keine Abschiebung um jeden Preis.“
Die Notbremse müssen die Behörden etwa ziehen, wenn eine abzuschiebende Person stark gesundheitlich beeinträchtigt ist und den Flug möglicherweise nicht unbeschadet überstehen würde. Problematisch wird die Situation auch, wenn durch die Abschiebung etwa eine Familie getrennt würde. Dalia Höhnes Bilanz ihrer bisherigen Beobachtungen fällt durchwachsen aus: „Zum einen muss ich sagen, dass die Mitarbeiter der Behörden sich bei meiner Arbeit vor Ort am Flughafen sehr offen und kooperativ verhalten. Grobheiten gegenüber ausreisepflichtigen Menschen habe ich soweit nicht feststellen können“, hält sie fest, weist aber auch auf Mängel in der Abschiebepraxis hin. Probleme seien dabei vor allem den asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verschärfungen 2014 geschuldet.
So haben ausreisepflichtige Personen im Falle einer schweren Erkrankung die Pflicht, selbst Atteste oder Flugtauglichkeitsbescheinigungen vorzulegen, die häufig am Stichtag der Abschiebung nicht vollständig seien, kritisiert Höhne. Oft hapere es am Informationsaustausch zwischen den Behörden über vorhandene Erkrankungen, oder eine betroffene Familie hatte schlicht nicht genug Zeit, sich die erforderlichen Unterlagen zu besorgen, weil die Abschiebung nicht angekündigt wurde. So seien es manchmal banale organisatorische Probleme, die eine reibungslose Abschiebung beeinträchtigen können.
Höhne vermittelt dann als kommunikative Schnittstelle zwischen allen Beteiligten und versucht, den betroffenen Menschen ein Stück weit die Angst zu nehmen. „Meistens sind die Leute froh, wenn sie in mir eine Ansprechpartnerin haben, die keine Uniform trägt. Da ich eine kroatische Mutter habe und deshalb etwas ausländisch aussehe, denken viele sogar, ich würde selbst abgeschoben“, erzählt sie schmunzelnd.
Oft ist sie bei ihrer Arbeit schon Zeugin dramatischer Szenen geworden, die ihr selbst an die Nieren gehen. „Besonders traurig ist es natürlich, wenn die Menschen hervorragend integriert waren und die Kinder auch in Deutschland geboren sind. Da fließen auch schon mal Tränen.“
Dabei kann Dalia Höhne die vollzogenen Abschiebungen in NRW nur stichprobenartig beobachten — von insgesamt 5001 Abschiebungen in NRW im Jahr 2016 konnte Höhne gerade mal 234 Fälle begleiten. 4921 Abschiebungen erfolgten über den Flughafen Düsseldorf; im Vergleich zum Vorjahr 2015 mit 3577 Fällen entspricht dies einem Anstieg von fast 40 Prozent. Dabei hat die Zahl der Abschiebungen im Zuge der Flüchtlingsbewegungen bundesweit mit 23886 Personen im vergangenen Jahr einen Höchststand erreicht.
Um so mehr würde Deutschland eine gesetzlich verankerte Abschiebebeobachtung benötigen, sagt Kirchenrat Rafael Nikodemus von der Evangelischen Kirche im Rheinland: „Es wäre einer Stärke des Rechtsstaates, eine unabhängige Abschiebeobachtung einzurichten. Denn Abschiebungen sind ein Seismograf für gelingende oder misslingende Gesetzgebung.“