Bundestag sagt ja - Kritik an Merkel Ehe für Alle: „Ein historischer Tag für unsere Minderheit“
Berlin. Als alles vorbei ist, tritt Angela Merkel vor die Kameras, um ihr „Nein“ zu begründen. In einer provisorisch umgestalteten Ecke des Bundestagsrestaurants - so, als wollte es die CDU-Chefin schnell hinter sich bringen.
Sie selbst sei inzwischen überzeugt davon, dass die gemeinsame Adoption von Kindern auch für gleichgeschlechtliche Paare möglich sein sollte, beginnt Merkel. Aber aus ihrer Sicht sei „die Ehe im Grundgesetz die Ehe von Mann und Frau“. Warum sie das nicht im Plenum gesagt habe, will ein Reporter wissen. Doch da läuft die Kanzlerin bereits Richtung Ausgang.
Merkel hat schon schönere Zeiten erlebt als diesen Freitagmorgen im Bundestag. Mit ihrer verschwurbelten Ansage, sie wünsche sich in der Frage der Homo-Ehe ein „Verfahren in Richtung Gewissensentscheidung“, den Sozialdemokraten eine Steilvorlage geliefert und die eigenen Reihen damit kalt erwischt — diese Stimmung ist auch jetzt greifbar. Schon kurz nach acht Uhr wird klar, dass alles nach Plan läuft. „Ich freue mich, dass zu ungewöhnlich früher Zeit ungewöhnlich viele Abgeordnete anwesend sind“, bringt es Bundestagspräsident Nobert Lammert ironisch auf den Punkt. Zuvor waren die Parlamentarier von SPD und Grünen noch zu Zählappellen angetreten, um die Mehrheit für eine Behandlung des Themas sicher zu stellen. Und die steht dann auch tatsächlich. Bereits da brandet Jubel auf. Was folgt, ist eine Debatte von nur etwa 40 Minuten, die jedoch so leidenschaftlich, emotional, aber auch provozierend geführt wird, wie es der Bundestag lange nicht mehr erlebt hat.
„Wenn die Ehe für alle kommt, dann wird vielen etwas gegeben, aber niemandem etwas genommen“, ruft SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann in den Saal. Auch auf die politische Kehrseite kommt er zu sprechen: „Was wir heute entscheiden, ist vielleicht nicht gut für die Koalition, aber es ist gut für die Menschen“. Volker Kauder, Oppermanns Amtskollege von der Union, hatte der SPD „Vertrauensbruch“ vorgeworfen, weil sie die Entscheidung gemeinsam mit Linkspartei und Grünen gegen den Willen des Koalitionspartners erzwang. Nun wirbt Kauder um Respekt für die absehbar unterlegenen Gegner der „Ehe für alle“. Für ihn bleibe die Ehe, was sie seit Jahrhunderten sei, eine „Verbindung zwischen Frau und Mann“.
Die Debatte wird hörbar schärfer, als die fraktionslose Abgeordnete Erika Steinbach (vormals CDU) los legt. Eine „Sturzgeburt“ sei diese Abstimmung, und die Kanzlerin habe dafür „die Tür sperrangelweit geöffnet“, empört sich Steinbach. Die „Ehe für alle“ widerspricht nach ihrer Auffassung klar dem Grundgesetz. Viele in der Unionsfraktion denken genauso. Trotzdem rührt sich für Steinbach keine Hand zum Beifall. Auch der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs zieht heftig gegen die Kanzlerin zu Felde. Allerdings unter völlig anderen Vorzeichen. Jahrelang habe Merkel die „Diskriminierung von Lesben und Schwulen unterstützt“, ereifert sich der bekennende Homosexuelle. „Frau Merkel, es war erbärmlich, es war peinlich“, resümiert Kahrs. „Vielen Dank für Nichts.“ Die Kanzlerin, die die Debatte schweigend verfolgt, wirkt in diesem Moment wie versteinert.
Als das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt gegeben wird, schießen die Grünen vor Freude Konfetti-Raketen in die Luft. Das „Ja“ zur „Ehe für alle“ ist überwältigend. In der Lobby des Reichstages stöhnt der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach vor einem Mikrofon: „Es fällt immer schwerer zu erklären, wofür die Union steht“. Und sein Parteifreund Peter Weiß ist sich ziemlich sicher, dass es wegen des Gesetzes zu einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht kommen wird. Dabei haben auch 75 Abgeordnete von CDU und CSU dafür gestimmt — fast jeder Vierte in der Unionsfraktion.
Die grünen Parlamentarier haben sich derweil zu einem Sekt-Empfang versammelt, um ihren wohl bekanntesten Vorkämpfer für die Rechte von Homosexuellen zu feiern: Volker Beck. „Das ist ein historischer Tag für unsere Minderheit“, hat Beck im Plenum gesagt. Jetzt versagt ihm die Stimme. Mit Tränen in den Augen schneidet er gemeinsam mit Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt eine große Torte mit den Regenbogenfarben an.