Analyse: Die Deutschen warten oft Jahre auf ihr Recht

Der deutsche Gesetzgeber muss schnell etwas gegen die zu langen Prozesse tun.

Straßburg/Berlin. Wer in Deutschland jahre- oder gar jahrzehntelang auf ein Gerichtsurteil wartet, kann sich bislang nicht wirksam dagegen wehren. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg die Regierung in Berlin ultimativ zum Handeln aufgefordert. Berlin muss so schnell wie möglich ein richtiges Beschwerderecht gegen überlange Gerichtsverfahren einführen.

Die Regierung arbeitet bereits an dem Problem: Nach einem vom Bundeskabinett schon verabschiedeten Gesetzentwurf sollen die Betroffenen künftig Entschädigungen einklagen können.

Es ist nicht das erste Urteil aus Straßburg zu Justitias Mühlen in Deutschland: Die selbst chronisch überlasteten Straßburger Richter drängen zur Eile. Denn mehr als die Hälfte aller Beschwerden aus Deutschland betrifft überlange Gerichtsverfahren. Eine nationale Regelung würde somit auch die Beschwerdelawine in Richtung Straßburg eindämmen. Zur Zeit sind in Straßburg 55 ähnliche Beschwerden anhängig. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) versprach am Donnerstag, dass das geplante Gesetz die Situation schnell verbessern werde.

Dabei schneidet Deutschland bei diesem Thema im Vergleich der 47 Europaratsländer noch ganz gut ab: Sehr viel schlimmer ist die Situation in Ländern wie Polen, Griechenland, Russland und der Türkei.

"Jeder überlange Prozess belastet die Betroffenen, persönlich und finanziell", räumt Leutheusser-Schnarrenberger ein. Sie sagt: "Jeder hat Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz in angemessener Zeit." Bislang müssen sich die Deutschen aber häufig in Geduld üben.

Dabei bringt es ihnen wenig, wenn beispielsweise die erstinstanzlichen Verfahren an Verwaltungsgerichten im Durchschnitt 12,3 Monate (2008) dauern. Denn im Einzelfall kann es sehr viel länger dauern. Und je nach Bundesland reichen die Durchschnittswerte von 5,1 Monaten (Rheinland-Pfalz) bis 32 Monaten (Brandenburg). Die Gerichte schieben das vor allem auf wenig Personal oder schlechte Ausstattung.

Die deutsche EGMR-Richterin Renate Jaeger hat Deutschland bereits eine Lösung nach dänischem Vorbild empfohlen: Dort muss ein Kläger keine Prozesskosten zahlen, wenn sein Verfahren zu lange dauert. Der deutsche Gesetzgeber aber will einen anderen Weg gehen (siehe Infokasten)