Europarichter machen deutscher Schneckenjustiz Beine

Menschenrechts-Gerichtshof setzt Ultimatum: Deutschland muss die Gerichtsverfahren beschleunigen.

Straßburg. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verschärft seinen Kurs gegen die notorisch überlangen Prozesse in Deutschland. Nach Dutzenden Urteilen gegen die Bundesrepublik setzten die Straßburger Richter jetzt ein Ultimatum: Berlin hat ein Jahr Zeit, endlich dafür zu sorgen, dass Bürger in angemessener Zeit zu ihrem Recht kommen oder bei Verzögerung entschädigt werden.

Das Problem hat immer wieder den EGMR beschäftigt: 40mal beanstandeten die Straßburger Grundrechte-Schützer bereits deutsche Marathon-Verfahren, allein 13 Mal im vergangenen Jahr. Gefruchtet hat es nichts: Derzeit sind weitere 55 Beschwerden anhängig. Nun nutzten die EGMR-Richter einen Fall aus Ingelheim, um zu signalisieren: Es reicht.

Der Kläger, Inhaber einer Personenschutz-Firma, hatte sich insgesamt 13 Jahre und fünf Monate gedulden müssen, bis ihn die deutsche Justiz letztinstanzlich beschied, ihm sei zu Recht von den Behörden ein neuer Waffenschein verweigert worden. Allein das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt brauchte acht Jahre für sein Urteil im Berufungsverfahren. Die Verantwortung trage letztlich die Bundesregierung, stellte der EGMR fest. Sie habe immer noch nicht dafür gesorgt, dass sich der Bürger gegen Prozess-Verschleppung wirksam zur Wehr setzen kann.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte im Frühjahr den Entwurf eines neuen Gesetzes vorgelegt, das den Opfern der Endlos-Justiz Anspruch auf Schadenersatz geben würde. Bislang habe sich aber nichts geändert, erklärte der EGMR. Es liege mithin ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention vor, die unter anderem ein faires Verfahren und wirksame Beschwerde-Optionen garantiert. Die Richter sprachen dem Personenschützer 10 000 Euro Schadenersatz zu.