Analyse: Die Wahl-Taktik der ehemaligen Reformerin

CDU-Chefin Angela Merkel hat aus dem Debakel von 2005 gelernt und fährt einen Kurs der Mitte.

Berlin. Angela Merkel wollte abwarten. Während die SPD Ende April mit Macht in den Wahlkampf startete, sollte die CDU offiziell erst am 29.Juni ihr gemeinsames Wahlprogramm mit der CSU verabschieden. Doch mittlerweile ist der Streit um das Programm voll entbrannt - und die Parteichefin musste eingreifen.

Es war zunächst der CDU-nahe Wirtschaftsrat, der sich zu Wort meldete und eine Rückbesinnung auf das Wahlprogramm von 2005 forderte. Die Vereinigung trat unter anderem für eine Flexibilisierung des Kündigungsschutzes und sogenannte betriebliche Bündnisse für Arbeit ein. Darin schwang Kritik an der Parteivorsitzenden mit, sie vernachlässige Stammwähler im wirtschaftsliberalen Milieu.

Kaum waren die Forderungen bekannt geworden, kam von CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla - und damit von der Parteivorsitzenden selbst - eine Absage. Umso überraschender war, dass sich Merkel am Wochenende eindeutig für Steuersenkungen aussprach - was wiederum Kritik einiger CDU-Ministerpräsidenten hervorrief, die sich vor weiteren Steuerausfällen fürchten.

Insgesamt passt die Positionierung der Kanzlerin aber ins Bild. Ohne dem Arbeitnehmerflügel damit auf die Füße zu treten (siehe Infokasten), geht sie einen deutlichen Schritt auf den Wirtschaftsflügel der CDU und auf die CSU zu, die seit Wochen Entlastungen der Bürger fordern. Und sie schließt zur SPD auf, die bereits Steuergeschenke in Aussicht gestellt hatte.

Merkel sitzt das schmerzliche Wahlergebnis von 2005 in den Knochen, als sie mit Reformeifer und der Forderung nach einer Erhöhung der Mehrwertsteuer am Wahlabend nur knapp vor der SPD lag und anstatt ein schwarz-gelbes ein schwarz-rotes Bündnis schmieden musste.

Auch wenn sie sich programmatisch noch im Ungefähren hält - einen solchen Fehler will Merkel offenbar nicht mehr machen. Und das auch, weil die Wähler mitten in der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit noch weniger als früher bereit sind für umfassende Reformen.

Unterstützung für einen Kurs der Mitte, der der SPD nur wenig Raum für Angriffe gibt, kommt dabei von der "Forschungsgruppe Wahlen". Deren Leiter Matthias Jung verwies kürzlich in einem Gastbeitrag für eine Zeitung darauf, dass von der Union enttäuschte wirtschaftsliberale Wähler ohnehin zur FDP wechselten. Ob aber Schwarz-Gelb überhaupt nach der Bundestagswahl eine Mehrheit bekomme, hänge davon ab, wie attraktiv die Union für SPD-nahe Wähler sei.