Analyse: Wie die Umfragen unser Land regieren

Vor der Wahl in NRW richten sich Politiker zunehmend an den Ergebnissen der Demoskopen aus.

Düsseldorf. Wer noch daran gezweifelt hat, dass Meinungsumfragen die Politik beeinflussen, musste sich vergangene Woche eines Besseren belehren lassen. Da befürwortete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) flugs den Kauf der Steuer-CD, nachdem eine Umfrage verlauten ließ, dass eine große Mehrheit der Deutschen dafür sei. Und Jürgen Rüttgers (CDU) schaltete spontan in den Wahlkampfmodus, weil seine Landesregierung wenige Tage zuvor bei den Demoskopen ihre Mehrheit verloren hatte.

Im Moment haben die Wahlforscher wieder einmal Hochkonjunktur. Im Mai stehen in Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen an, bis zum Wahltag wird Woche für Woche eine Flut von Zahlenkolonnen über den vermeintlich wahren Wählerwillen hereinbrechen. "Umfragen machen die Einstellungen der Menschen greifbar und helfen mit, Erwartungshaltungen zu formulieren", sagt Melanie Diermann, Politikwissenschaftlerin an der Universität Duisburg-Essen.

Den Vorwurf, viele Politiker schauten nur noch auf ihre Beliebtheitswerte und vernachlässigten darüber ihre eigentliche Arbeit, weist Diermann zurück: "Zu schauen, was die Menschen möchten, ist eher ein Gewinn." Dass sich Politiker an der Stimmungslage orientierten, sei absolut nachvollziehbar.

Dass Politiker ihre Arbeit an den Ergebnissen der Demoskopie ausrichten, ist unbestritten. Doch so mancher verspekulierte sich enorm: Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) ließ im Sommer 2009 die Große Koalition in seinem Land platzen, weil die Umfragen der Union eine komfortable Mehrheit voraussagten. Sein Pech: Am Wahltag, drei Monate später, war die gute Stimmung weitgehend verflogen.

Der frühere SPD-Chef Franz Müntefering trieb die Umfrage-Hörigkeit auf die Spitze: Als die Sozialdemokraten bei der Europawahl auf weniger als 21 Prozent der Stimmen abstürzten, beklagte er die Unzuverlässigkeit der Demoskopen: Diese hätten "doch 26, 27 Prozent versprochen".

Die teils erhebliche Diskrepanz zwischen Umfrage- und Wahlergebnis hat immer wieder für Diskussionen gesorgt. Melanie Diermann glaubt jedoch, dass sich heute kein Institut mehr grobe Fehler erlauben könne: "In der Branche gibt es einen hohen Konkurrenzdruck. Ein Institut, das ein falsches Ergebnis voraussagt, bekommt weniger Aufträge."