Türkischer Wahlkampf auf deutschem Boden? Auftrittsverbote: Die Bundesregierung ist am Zug

Das Versammlungsrecht gibt Ländern kaum Spielraum, türkische Politiker von Wahlkampfreden hierzulande abzuhalten.

Erst im Februar warb der türkische Ministerpräsidenten Yildirim in Oberhausen um die Zustimmung der in Deutschland lebenden Türken zu einem Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei.

Foto: Roland Weihrauch

Düsseldorf. Lassen sich die Auftritte türkischer Regierungsmitglieder bei Wahlwerbeveranstaltungen für das türkische Verfassungsreferendum auf deutschem Boden verhindern? Die Grünen im NRW-Landtag haben eben diese Frage Christoph Gusy gestellt. Der renommierte Bielefelder Rechtsprofessor hält zu dieser Frage am Freitag vor Journalisten im Landtag ein gut 30-minütiges Seminar zu versammlungsrechtlichen Fragen ab. Am Ende kann er aber nicht verhehlen, dass er auch ein politisch denkender Mensch ist.

In seinem Kurzgutachten kommt Gusy zu dem Ergebnis, dass nicht das Land, sondern der Bund in dieser Frage aktiv werden müsste. Und nicht darauf setzen sollte, dass die Entscheidungen in Städten wie Gaggenau, Köln oder anderswo getroffen werden. Gusy: „Es macht doch einen merkwürdigen Eindruck, wenn eine Versammlung verboten wird wegen zu wenig Parkplätzen oder Verstopfung der Zufahrtswege. Das sind Umgehungstatbestände, die kennt man eher aus totalitären Staaten, die sich nicht dazu bekennen wollen, dass sie die Meinungsfreiheit einschränken.“

Der renommierte Bielefelder Rechtsprofessor Christoph Gusy informierte auch die Grünen im NRW-Landtag.

Foto: Marius Becker

Solche Umwege zu gehen, sei im Einzelfall zwar rechtlich möglich, mache insgesamt aber einen denkbar schlechten Eindruck. „Man braucht eine klare Richtlinie. Die kann nicht im Einzelfall in Gaggenau getroffen werden. Da ist der Bund zuständig.“

Gusy erklärt, dass die Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit nur Privatpersonen zustehen, nicht aber Trägern staatlicher Funktionen. Anders sei es, wenn sie als Privatpersonen auftreten. Denn auch sie seien ja nicht nur Politiker, „sondern auch Menschen“. Zwar beziehe sich das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nur auf Deutsche, das Versammlungsgesetz gebe aber auch Ausländern dieses Recht - wenn sie als Privatpersonen auftreten.

Doch sind türkische Politiker bei solchen Auftritten wirklich Privatpersonen? Wenn sie Wahlveranstaltungen aufpeitschen und dies mit dem magischen Satz „Simsalabim, ich bin jetzt Privatperson“ rechtfertigen? Gusy sagt, dass einer solchen Argumentation mit versammlungsrechtlichen Mitteln schwer beizukommen sei. Ein anderer namhafter Jurist, der frühere NRW-Verfassungsrichter Michael Bertrams, sieht das anders.

Mit Blick auf den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Yildirim Mitte Februar in Oberhausen schrieb er in einem Gastbeitrag für den Kölner Stadtanzeiger: „Die Rede Yildirims vor großem Publikum verliert ihre Prägung und Bedeutung als Auftritt des türkischen Regierungschefs nicht dadurch, dass der Rahmen nicht von der Regierung, sondern nur von einer regierungsnahen Organisation gesetzt und als privat deklariert wurde. Die Zuhörer in Oberhausen folgten nicht der Rede eines gewissen Herrn Yildirim, sondern der des türkischen Ministerpräsidenten.“

Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte im Juli 2016 verhindert, dass der türkische Staatspräsident Erdogan per Livebildübertragung auf einer Veranstaltung in Köln zugeschaltet wurde. Begründung: „Artikel 8 des Grundgesetzes ist kein Instrument dafür, ausländischen Staatsoberhäuptern oder Regierungsmitgliedern ein Forum zu eröffnen, sich auf öffentlichen Versammlungen im Bundesgebiet in ihrer Eigenschaft als Hoheitsträger amtlich zu politischen Fragestellungen zu äußern.“

Auch Bertrams sieht wie Gusy den Ball aber am Ende im Feld der Bundesregierung: Über die Zulässigkeit derartiger Auftritte habe nicht die Versammlungsbehörde zu entscheiden, sondern die für die Pflege zwischenstaatlicher Beziehungen zuständige Bundesregierung. Mehrdad Mostofizadeh, Fraktionschef der Grünen im Landtag, fordert, das Katz-und-Maus-Spiel, ob jemand Privatperson sei oder nicht, müsse aufhören. „Bis zum 16. April, dem Tag des Verfassungsreferendums in der Türkei, muss die Bundesregierung türkischen Politikern die Einreise versagen, wenn diese dafür missbraucht wird, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen.“

Auch eine starke Demokratie müsse sich nicht jede Provokation gefallen lassen. Das Schutzrecht der Versammlungsfreiheit sei für die einfachen Menschen da, ihre Meinungen zu sagen. „Menschen, die nicht in der Position sind, in der Türkei das Internet abzuschalten.“ Dass die Bundesregierung darauf schiele, ob Kreispolizeibehörden und Landratsämter diese Auftritte verhindern, finde er absurd. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) und Kanzlerin Merkel (CDU) dürften sich nicht dahinter verstecken.

Die Teilnahme in Deutschland lebender Türken bei der Abstimmung über die Machtausweitung für Erdogan will Mostofizadeh aber nicht in Frage stellen. Da sollten auch die deutschen Behörden kooperieren. „Die Wähler sollen an der Abstimmung teilnehmen und mit Nein stimmen“, wünscht er sich.