Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff vorerst gestoppt
Brasília (dpa) - Kurz vor der drohenden Suspendierung von Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff ist das Amtsenthebungsverfahren gegen sie völlig überraschend gestoppt worden.
Der Interimsvorsitzende der Abgeordnetenkammer, Waldir Maranhão, annullierte die Abstimmung des Parlaments, mit der am 17. April grünes Licht für das Verfahren gegen Rousseff gegeben wurde. Eigentlich wollte der Senat am Mittwoch zur entscheidenden Sitzung zusammenkommen, mit der Rousseff zur juristischen Prüfung der Vorwürfe gegen sie für zunächst 180 Tage suspendiert werden sollte. Ihre Anhänger feierten die Entscheidung - sie selbst sagte, sie wisse noch nicht, was das bedeute.
Maranhão hatte erst vergangene Woche das Amt des Parlamentschefs von dem erbitterten Erzfeind Rousseffs, Eduado Cunha von der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB), übernommen. Der Oberste Gerichtshof hatte Cunha vorübergehend suspendiert, da er das Amt genutzt habe, um Korruptionsermittlungen gegen ihn zu behindern - er soll bei Auftragsvergaben des halbstaatlichen Ölkonzerns Schmiergelder von bis zu fünf Millionen US-Dollar kassiert haben, was er bestreitet.
Maranhão schloss sich Vorwürfen von Regierungs-Anwalt José Eduardo Cardozo an, wonach die Abstimmung ungültig sei, da die Parteien den Abgeordneten weder deren Votum hätten vorgeben dürfen, noch hätten die Parlamentarier ihr Abstimmungsverhalten vor der Wahl ankündigen dürfen. Zudem hätte Rousseff nicht genug Zeit zur Verteidigung bekommen. Er setzte fünf neue Sitzungen zur Beratung des Verfahrens gegen Rousseff an, bevor erneut abgestimmt werden soll. Der Senat schloss aber nicht aus, trotzdem am Mittwoch zur Sitzung über die Suspendierung Rousseffs zusammenzukommen. Die Opposition reichte beim Obersten Gerichtshof Klage ein gegen Maranhãos Entscheidung.
Das Amtsenthebungsverfahren befinde sich bereits in der Kompetenz des Senats und könne deshalb nicht von der Abgeordnetenkammer rückgängig gemacht werden, erklärte der Abgeordnete Pauderney Avelino. Das fünftgrößte Land der Welt ist mit einer der weitreichendsten Regierungskrisen seit dem Übergang zur Demokratie 1985 konfrontiert. Und das in einer Phase, wo das Land sich parallel in der schwersten Rezession seit den 1930er Jahren befindet, über elf Millionen Menschen sind arbeitslos. Rousseff reagierte überrascht. „Ich kenne noch nicht die Folgen“, sagte sie in Brasília. Eigentlich war schon sicher, dass sie ihren Regierungspalast Mitte der Woche räumen muss.
Das Parlament hatte im April mit klarer Zweidrittelmehrheit die Übergabe des Amtsenthebungsverfahrens an den Senat beschlossen - das galt als eine der entscheidenden Hürden. Rousseff werden eine Verschleierung des Defizits und Kreditverstöße vorgeworfen - sie hält den Schritt für ungerechtfertigt und spricht von einem „Putsch“ ihrer Gegner. Vizepräsident Michel Temer will sie nach einer Suspendierung beerben und ein Kabinett ohne die seit 2003 regierende linke Arbeiterpartei bilden. Seine Partei, die PMDB, hat mit Rousseff gebrochen. Er will eine Privatisierungswelle und Reformen einleiten.
Die Zahl von 31 Ministerien wollte er aus Spargründen deutlich verringern, nun könnten es aber zur Sicherung der Unterstützung durch andere Parteien nur ein paar Ministerien weniger werden. Die Börse von São Paulo reagierte auf die neuen Entwicklungen mit einem Sturz von 3,5 Prozent des Bovespa-Indexes, erholte sich aber bis auf einen Verlust von 1,3 Prozent im Vergleich mit dem Handelsschluss vom Freitag. Der Wechselkurs des Real zum US-Dollar fiel um 4,75 Prozent. Rousseffs Sturz war von den Finanzmärkten schon eingepreist worden.