Bulgarien steht vor schwieriger Regierungsbildung

Sofia (dpa) - Bulgarien steht vor einer unsicheren Zukunft. Klare Verhältnisse brachte die Parlamentswahl nicht, die Parteien sind zerstritten. Dabei hätte das Armenhaus der EU politische Stabilität bitter nötig.

Die bürgerliche ehemalige Regierungspartei GERB des im Februar im Zuge von Sozialprotesten gestürzten Regierungschefs Boiko Borissow gewann zwar die Wahl. Sie ist mit voraussichtlich 98 Mandaten jedoch weit von einer eigenen Mehrheit in der 240 Sitze umfassenden Volksversammlung entfernt und peilt die Bildung einer Minderheitsregierung an.

Die Sozialisten kamen nach vorläufigen amtlichen Angaben vom Montag auf 86 Mandate und wollen ihrerseits gemeinsam mit kleinen Parteien eine „Programmregierung zur Rettung des Landes“ schmieden. Sie werfen der GERB Wahlmanipulation vor und sprechen ihr das Recht zur Regierungsbildung ab.

Interimsregierungschef Marin Rajkow forderte die Parteien am Montag auf, die „Brücken zueinander nicht zu verbrennen, da sie dem Volk eine Regierung schulden“. Aktivisten, die die Massenproteste im vergangenen Winter gegen allgegenwärtige Korruption, Niedriglöhne und hohe Energiepreise über das Internet organisiert hatten, riefen zu neuen Kundgebungen auf.

Den Sprung über die Vier-Prozent-Hürde in das Parlament des bitterarmen EU-Landes schafften auch die Bewegung der türkischen Minderheit DPS (33 Mandate) und die nationalistische Ataka (23 Mandate). Ob sie als Koalitionspartner für die GERB zur Verfügung stehen, ist allerdings wegen des schwierigen Verhältnisses zwischen den Parteien fraglich.

Zunächst muss sich das neu gewählte Parlament konstituieren. Erst dann wird Staatspräsident Rossen Plewneliew zuerst die GERB als stärkste Partei mit der Regierungsbildung beauftragen können. GERB- Vertreter kündigten an, wie schon in der abgelaufenen Legislaturperiode ein Minderheitskabinett bilden zu wollen. Sozialisten-Chef Sergej Stanischew erteilte diesem Vorhaben eine Absage. „Sie (GERB) ist mit manipulierten und gekauften Stimmen zahlenmäßig zur ersten Kraft geworden, doch das gibt ihr nicht das Recht, zu regieren.“

Die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erklärten am Montag, dass bei der vorgezogenen Parlamentswahl die Grundfreiheiten zwar „geachtet wurden“, der Wahlkampf aber von „zahlreichen Vorfällen“ überschattet worden sei. Diese hätten das Vertrauen in die Institutionen verringert. Die OSZE verwies auf „Vorwürfe des Stimmenkaufs“ und rief Sofia auf, ernsthafte Regelverstöße im Wahlkampf zu untersuchen.

Aktivisten wollten noch am Montagabend in der Hauptstadt Sofia gegen die aus ihrer Sicht „unfairen Wahlen“ protestieren, da „nur etablierte Parteien“ ins Parlament einziehen könnten.

Der Schwarzmeer-Anrainer Bulgarien gilt als ärmstes Mitgliedsland der Europäischen Union. Von den gut sieben Millionen Einwohnern lebt etwa jeder Fünfte in Armut, Korruption und Kriminalität gehören zum Alltag vieler Menschen. Mit einem Bruttomindestlohn von umgerechnet 159 Euro im Monat ist Bulgarien ein Billiglohnland.