Eklat bei Gauck-Besuch in der Türkei
Ankara/Istanbul (dpa) - Beim Staatsbesuch von Bundespräsident Joachim Gauck in der Türkei ist es zu einem heftigen Schlagabtausch mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gekommen. Erdogan wies Gaucks Kritik an Demokratiedefiziten seiner Regierung als „Einmischung in innere Angelegenheiten“ zurück.
Gauck erwiderte kurz darauf in Istanbul, er sei in seiner Kritik „eher noch zurückhaltend gewesen“. Gauck hatte am Montag in einer Rede vor Studenten an der Technischen Universität in Ankara vor einer „Gefährdung der Demokratie“ in der Türkei gesprochen. Der Bundespräsident hatte zugleich vor Einschränkungen bei der Unabhängigkeit der Justiz und bei der Presse- und Meinungsfreiheit gewarnt. Er hatte hinzugefügt, seine Bemerkungen sollten als Rat verstanden werden.
Erdogan sagte nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu, die Deutschen sollten lieber die NSU-Terrorserie und Anschläge auf Türken aufklären, als seiner Regierung Ratschläge zu geben. Gaucks Aussagen seien „sehr seltsam“ gewesen. „Wir werden seine Einmischung in die inneren Angelegenheiten unseres Landes niemals dulden. Das haben wir ihm auch persönlich gesagt.“ Mit Blick auf die aus seiner Sicht belehrenden Worte des früheren Pfarrers Gauck fügte Erdogan hinzu: „Anscheinend denkt er immer noch, er wäre ein Priester.“
Gauck sagte am Dienstag: „Ich habe mir erlaubt, das zu tun, was ich immer tue. Nämlich die kritischen Themen, die in einer Gesellschaft diskutiert werden, aufzunehmen. Das ist normal unter Freunden.“ Er frage nicht nur bei den Regierenden, sondern auch bei den Regierten nach, um sich ein Bild zu machen.
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), sagte der Tageszeitung „Die Welt“, die „emotionalen Äußerungen“ Erdogans seien „weder im Inhalt noch im Ton angemessen“. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) sagte der dpa: „Erdogan beschimpft den Bundespräsidenten in unflätiger Weise.“ Erdogan lasse in seinem Politikstil „Anstand und demokratische Kultur vermissen“.
Gauck eröffnete am Dienstag gemeinsam mit dem türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül eine Türkisch-Deutsche Universität in Istanbul. Er würdigte bei der Zeremonie die Hochschule als „neues Kapitel in den Wissenschaftsbeziehungen beider Länder“. Damit könnten auch die engen Wirtschaftskontakte zwischen Deutschland und der Türkei weiter intensiviert werden, betonte Gauck am letzten Tag seines Staatsbesuchs. Er wurde in Istanbul von Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU) begleitet.
Gül, der sich nach den kritischen Worten Gaucks an die Adresse der türkischen Regierung am Vortag betont freundlich zeigte, erinnerte daran, dass etwa 5000 Firmen mit deutschem Kapital in der Türkei tätig seien. Drei Millionen türkischstämmige Menschen lebten in Deutschland, fünf Millionen deutsche Touristen besuchten das Land am Bosporus jedes Jahr. Die neue Hochschule solle eine Elite-Universität werden, die auch Führungskräfte für deutsch-türkische Unternehmen ausbilden werde.
Der Start des Lehrbetriebs in Istanbul hatte sich seit dem Beginn der Planungen 2006 immer wieder verzögert. Im September vergangenen Jahres wurden dann die ersten Studenten begrüßt. Etwa 130 Hochschüler haben sich für die Bachelorstudiengänge Jura, Mechatronik und BWL sowie die Masterstudiengänge European and International Affairs und Interkulturelles Management eingeschrieben. Mittelfristig sollen rund 5000 Studenten an der Hochschule in Istanbul lernen.
Erdogan plant unterdessen in knapp vier Wochen einen Auftritt in Köln. Erdogan werde am 24. Mai in der Lanxess-Arena sprechen, sagte ein Sprecher der Union Europäisch Türkischer Demokraten (UETD). Anlass sei das zehnjährige Bestehen der Organisation. Erdogan hatte erst im Februar Deutschland besucht. Er erwägt, im August bei der Präsidentenwahl zu kandidieren. Zu dieser Wahl können Auslandstürken erstmals auch außerhalb der Türkei ihre Stimme abgeben.
Am Sonntag war Gauck im südtürkischen Kahramanmaras in einem Lager mit syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen zusammengetroffen. Er hatte außerdem die in der Region stationierten Bundeswehrsoldaten besucht. Am Dienstagabend wollten Gauck und seine Delegation nach Berlin zurückkehren.