Gül geißelt deutsche Ausländerpolitik
Heute beginnt der dreitägige Besuch des türkischen Präsidenten in Deutschland. Im Vorfeld zeigt er Selbstbewusstsein.
Istanbul. Es hat sich etwas geändert in den deutsch-türkischen Beziehungen. Vor seinem heute beginnenden Staatsbesuch in Deutschland gibt sich der türkische Präsident Abdullah Gül demonstrativ selbstbewusst. „Die europäische Wirtschaft wieder auf Vordermann bringen“, das könnte die Türkei nach seiner Ansicht schon leisten.
Einwanderungspolitik und Visapflicht? „Ungerecht“, findet er. Gerade hat sich Regierungschef Recep Tayyip Erdogan in der arabischen Welt feiern lassen und den Ton gegenüber Israel verschärft, da kommt Präsident Gül mit Forderungen nach Berlin.
Unübersehbar sind die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei wieder in unruhigeres Fahrwasser geraten. Bundespräsident Christian Wulff bemühte sich deshalb schon im Vorfeld, die Wogen zu glätten. Er dankte den Türken für ihren Beitrag zum deutschen Wohlstand, nachdem Gül sich beschwert hatte, die Leistung der türkischen Arbeitskräfte für das deutsche Wirtschaftswunder sei nicht genügend gewürdigt worden.
Da hebt Gül lieber die täglichen Ärgernisse hervor. Noch immer brauchen türkische Staatsbürger ein Visum, wenn sie nach Deutschland einreisen wollen. Das findet die Regierung in Ankara unakzeptabel, ein Relikt aus alten Zeiten, in denen Deutschland einen ungebremsten Zustrom von Menschen aus der Türkei befürchtete.
Auch beim Dauerthema Integration gibt sich Gül offensiv. Er ruft zwar die drei Millionen in Deutschland lebenden Türken dazu auf, die deutsche Sprache akzentfrei zu erlernen, möglichst vom Kindergarten an. Aber er sagt auch, das 2007 verschärfte Einwanderungsrecht verstoße gegen die Menschenrechte. Deutschland müsse sich weiter öffnen. „Es ist doch eine Tatsache, dass in Deutschland die Bevölkerung schrumpft.“
Und während die Türkei nach den Umwälzungen des arabischen Frühlings nach einer Führungsrolle in der islamischen Welt strebt, wird die dramatische Schuldenkrise in der EU zum Argument für Ankara: „Vielleicht sehen nun ja auch immer mehr Menschen in den EU-Ländern, dass die Türkei keine Last darstellen würde für die Gemeinschaft, dass sie ganz im Gegenteil helfen würde“, sagt Gül. Es gebe in Europa „eigentlich nur zwei aufstrebende Länder“, meint er: „Deutschland und die Türkei.“