Merkels Pläne zwischen Menschenrechten und EM-Finale
Berlin (dpa) - Deutschland im Finale der Fußball- Europameisterschaft ohne Kanzlerin auf der Tribüne? Undenkbar. Angela Merkel auf der Tribüne in Kiew gemeinsam mit dem umstrittenen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch?
Auch kaum vorstellbar.
Doch Merkel wird nach dpa-Informationen eben das tun, was sie bereits nach dem gewonnenen Viertelfinale gegen Griechenland in der Mannschaftskabine versprochen, öffentlich aber nicht bestätigt hat: Sie will zum EM-Endspiel fliegen, wenn die Löw-Elf am Donnerstag Italien im Halbfinale besiegt. Sportlich logisch, politisch heikel.
Denn die Reise wäre belastet von massiven internationalen Klagen über die Menschenrechtslage in der Ukraine, insbesondere über den Umgang mit der inhaftierten, erkrankten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Am Dienstag vertagte das Hohe Sondergericht in Kiew erneut eine Berufungsverhandlung, diesmal auf den 12. Juli.
Damit dürften alle Hoffnungen Timoschenkos verflogen sein, im Zuge der EM freizukommen. Nach dem Finale an diesem Sonntag ist die Ukraine wieder aus dem Blick der Weltöffentlichkeit. Die Politikerin will unter Berufung auf Verfahrensmängel die Aufhebung ihrer siebenjährigen Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs erreichen.
Vor Beginn der EM hatte es im Kanzleramt geheißen, sollte sich die Lage für Timoschenko nicht verbessern, wolle Merkel nicht bei einem Spiel neben Janukowitsch sitzen. Nun wird gerätselt, unter welcher Voraussetzung sie sich nach Kiew aufmachen würde. Denn die Lage für Timoschenko hat sich nicht verbessert. Daran ändert auch die inzwischen mögliche Betreuung durch deutsche Ärzte nichts.
Variante eins: Der zur Neutralität verpflichtete UEFA-Chef Michel Platini wird zwischen Merkel und Janukowitsch platziert. Die Kameras würden trotzdem beide Politiker einfangen. Gewonnen wäre nichts. Variante zwei: Merkel besucht in Kiew Unterstützer Timoschenkos, die ihre Basis direkt an der Fanzone aufgeschlagen haben, die zum Ärger von Janukowitsch zum Besuchermagnet geworden ist. Kritiker würden das belächeln. Sie fordern mehr. Viel mehr. Eine dritte Variante.
So sagt der Vorsitzende des Bundestags-Menschenrechtsausschusses Tom Koenigs (Grüne) der dpa: „Wenn natürlich es Frau Merkel gelänge, Frau Timoschenko mitzubringen, dann soll sie auch aufs Spiel gehen, dann gewinnen wir auch die Europameisterschaft.“ Dann wäre Merkel wohl auch selbst Meisterin. Diesen Preis dürfte Janukowitsch, Erzfeind Timoschenkos, für ein Foto mit Merkel aber kaum zahlen.
Die EU-Kommission boykottiert die Spiele in der Ukraine ganz offiziell. Mitglieder der Bundesregierung blieben den drei deutschen Gruppenspielen in der Ex-Sowjetrepublik ebenfalls fern. Misslich für Merkel, dass das Halbfinale und nicht das Finale beim Co-EM-Gastgeber Polen ausgetragen wird. Polens liberal-konservativer Regierungschef Donald Tusk zählt zu ihren ersten Ansprechpartnern in der EU. Ein gemeinsamer Fußballabend mit ihm - wie schon in Danzig beim Viertelfinale - wäre ein politisch angenehmer Nebeneffekt des großen Sports. Doch zum Halbfinale nach Warschau kann sie sowieso nicht fahren, weil zeitgleich EU-Gipfel in Brüssel ist.
Vielleicht sieht manch Staatschef im Gegensatz zu einigen Spielern in ihr keine Glücksbringerin. Doch trotz aller Kritik etwa aus den USA oder Frankreich wird die Verfechterin einer harten Schuldenbremse bei dem Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs dringender als Akteurin gebraucht denn als Zuschauerin in einem fernen Stadion. Europa schaut bei der Bewältigung der Finanzkrise auf Deutschland und Merkel, heißt es immer wieder in Politik und Wirtschaft.
Aber auch der Sport schaut auf Merkel - zumindest die italienische Sportpresse nach dem Sieg ihrer Mannschaft über England am Sonntag in einer Mischung aus Fußball und Finanzen. Schlagzeilen wie „Jetzt kommt Deutschland!“ und „Jetzt ist Merkel an der Reihe, Italien ist in der Schlacht um Europa bestens aufgestellt“ waren da zu lesen.
Finanziell stimmt das schon mal nicht. Und fußballerisch hatte auch das dramatisch verschuldete Griechenland Deutschland den Kampf angesagt - und verloren. Um den Krisenbogen zu Ende zu spannen: Sollte Deutschland ins Finale kommen, wäre Spanien oder Portugal der Gegner - beides finanziell schwächelnde Euro-Staaten. Eine Rechnung offen hat aber noch die deutsche Fußballnationalmannschaft: mit Italien und Spanien.
Unvergessen das Halbfinale bei der Weltmeisterschaft 2006, als Italien Deutschland im eigenen Land mit zwei Toren in den letzten beiden Minuten der Verlängerung ins Aus schoss. Und dann das Endspiel bei der EM 2008 gegen Spanien, das Deutschland 0:1 verlor. Die Hoffnung des Löw-Teams: Geschichte wiederholt sich nicht.