Nach Ende der Waffenruhe: Offensive in der Ukraine

Kiew/Moskau (dpa) - Im Ukraine-Konflikt setzt Präsident Petro Poroschenko nach einer zehntägigen Waffenruhe auf militärische Härte gegen die prorussischen Separatisten.

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Die Armee habe das Feuer auf Stützpunkte der „Terroristen“ wieder eröffnet, sagte der Parlamentsvorsitzende Alexander Turtschinow am Dienstag in Kiew. Poroschenko habe auch massive Luftschläge angeordnet.

Medien berichteten von schweren Gefechten nahe der Separatistenhochburgen Slawjansk und Kramatorsk. Augenzeugen zufolge gab es zahlreiche Tote und Verletzte. Die Armee sprach von mindestens einem Toten und 17 Verwundeten in ihren Reihen.

Russland kritisierte das Aufkündigen der Waffenruhe als Rückschlag für die Friedensbemühungen im krisengeschüttelten Nachbarland. „Leider hat Präsident Poroschenko entschieden, die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen“, sagte Kremlchef Wladimir Putin vor Diplomaten in Moskau. Damit habe der ukrainische Staatschef erstmals direkt die volle politische Verantwortung für das Blutvergießen auf sich genommen, betonte er bei einer im Staatsfernsehen übertragenen Rede. Krieg sei nicht der richtige Weg zur Lösung. Die russischsprachige Bevölkerung in der Ostukraine fühle sich bedroht, betonte Putin.

Mit der Wiederaufnahme der Kämpfe habe die Führung in Kiew die wichtige diplomatische Initiative Deutschlands, Russlands und Frankreichs gesprengt, teilte das Außenministerium in Moskau mit. Russland warnte auch mit Blick auf die Interessen der USA in der Ukraine vor geopolitischen Machtspielen in der Ex-Sowjetrepublik. Dass die Ukraine im letzten Moment ein mit Deutschland, Frankreich und Russland vereinbartes Dokument für den Weg aus der Krise abgelehnt habe, rufe tiefes Bedauern hervor.

Nach intensiven Beratungen hatte Poroschenko in der Nacht mitgeteilt, er werde die Feuerpause nicht verlängern und stattdessen Stellungen der Aufständischen angreifen lassen. „Wir werden in die Offensive gehen und unser Land befreien. Die Nichtfortsetzung der Feuerpause ist unsere Antwort an die Terroristen, Freischärler und Marodeure“, betonte der prowestliche Staatschef in einer Fernsehansprache.

Poroschenko verhängte aber nicht das Kriegsrecht und schloss auch Gespräche mit den Aufständischen nicht aus. In einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe der Staatschef versichert, trotz der Wiederaufnahme der „Anti-Terror-Operation“ eine politische Lösung der Krise anzustreben, teilte das Präsidialamt in Kiew mit.

Die am Montagabend ausgelaufene Waffenruhe galt als brüchig. Während der zehntägigen Feuerpause waren 27 Soldaten gestorben. Poroschenko, der erst seit drei Wochen amtiert, steht deshalb innenpolitisch unter Druck. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, die Feuerpause gebrochen zu haben.

Die Europäische Union bereitet im Ukraine-Konflikt neue Sanktionen gegen Russland vor - aber keine tiefgreifenden Wirtschaftssanktionen. Solche möglicherweise folgenschweren Maßnahmen gegen den wichtigen Handelspartner sollen vorerst nicht verhängt werden. Dies beschlossen die Botschafter der 28 EU-Staaten in Brüssel nach Angaben von Diplomaten. Die Vertreter der EU-Regierungen waren zu einer Sondersitzung zusammengerufen worden, um zu prüfen, ob Russland einem Ultimatum der Staats- und Regierungschefs Folge geleistet habe.

In Kiew brachte Poroschenkos Ostukraine-Beauftragte Irina Geraschtschenko die weißrussische Hauptstadt Minsk als möglichen Ort für Gespräche mit den Separatisten ins Spiel. Der Vertreter der „Volkswehr“ in Donezk, Andrej Purgin, nannte den Vorschlag „nicht uninteressant“. Es seien zuvor aber noch viele Punkte zu klären.

Im Zentrum der ostukrainischen Millionenstadt Donezk stürmten Separatisten am Mittag die Zentrale der regionalen Polizei. Bei den Zusammenstößen wurden mindestens sieben Menschen verletzt.

Putin sagte in seiner Rede, die Ereignisse in der Ukraine seien auch ein Ausdruck einer gegen Russland gerichteten Politik. Sein Land werde mit Sanktionen unter Druck gesetzt und gedrängt, zum Beispiel die Preise für Gaslieferungen in die Ukraine zu senken, obschon es auch von Gerichten in Kiew anerkannte Energieverträge gebe. Wie zu Zeiten des Kalten Krieges sei der Westen auf Konfrontation und nicht auf Zusammenarbeit aus, kritisierte der Kremlchef.

Putin wies das Außenministerium an, ein „Paket an Schutzmaßnahmen“ vorzubereiten, um eine Einmischung von außen, aber auch verfassungswidrige Umstürze wie zuletzt in der Ukraine, in Libyen und im Irak zu verhindern.

Der russische Parlamentsvorsitzende Sergej Naryschkin kritisierte das Vorgehen Poroschenkos scharf. Die Ukraine benötige einen Dialog und kein neues Blutvergießen, sagte der Chef der Staatsduma der Agentur Interfax zufolge.