Neue Welle der Gewalt — Türkei vor Generalstreik

Zusammenstöße fordern einen weiteren Toten. Regierung will sich am Mittwoch mit Oppositionsvertretern treffen.

Istanbul/Wuppertal. Die türkische Regierung hat sich am fünften Tag der landesweiten Protestwelle erstmals um Deeskalation bemüht. Vizeregierungschef Bülent Arinc entschuldigte sich am Dienstag für die Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten. In der Nacht war bei den Protesten gegen den islamisch-konservativen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan ein zweiter Demonstrant getötet worden.

Bei der Autopsie wurde festgestellt, dass er eine schwere Schädelverletzung erlitten hat. Aus Protest gegen die Regierung rief der Gewerkschaftsbund KESK einen Streik aus. Die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes sollten für eine demokratische Türkei eintreten und damit gegen den „Faschismus“ der Regierungspartei demonstrieren, hieß es. Auch andere Gewerkschaften wollten dem Aufruf folgen.

Einen Tag nach Erdogans Abreise zu einer Nordafrikareise räumte sein Vize Arinc ein, dass die Proteste gegen ein umstrittenes Bauprojekt im Gezi-Park in Istanbul legitim gewesen seien. Die Polizei hatte dort am Freitag ein Protestlager brutal geräumt und damit die Demonstrationen ausgelöst. Am Mittwoch will Arinc mit Vertretern der Demonstranten zusammenkommen.

Inzwischen wenden sich die Proteste vor allem gegen den als immer autoritärer empfundenen Kurs Erdogans, der Extremisten für die Aktivisten verantwortlich gemacht hatte. Arinc warnte, die Protestierer sollten sich nicht mit illegalen Gruppen einlassen. In Istanbul kam es erneut zu schweren Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten.

Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), hält den Umgang der Türkei mit Demonstranten für unvereinbar mit einer EU-Mitgliedschaft. „Um Mitglied der EU zu werden, muss man demokratische Standards einhalten. Wir sehen: Dazu ist er (Erdogan) in ganz bestimmten Momenten nicht bereit.“ Die UN verlangten eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt.

Auch in deutschen Städten wird gegen Erdogan demonstriert. In Wuppertal gingen am Montag etwa 500 türkischstämmige Menschen auf die Straße. Servet Köksal, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Barmen, hofft auf die Solidarität der Bürger. Das sei „keine Frage von Nationalität oder Herkunft. Es ist die grundlegende Frage nach Gerechtigkeit“. Red