Trayvon Martin: Drahtseilakt für den US-Präsidenten

Der Fall des getöteten Teenagers Trayvon Martin schlägt weiter hohe Wellen in USA. Nun hat Barack Obama sich eingeschaltet.

Washington. Es war eine Rede, die nur Barack Obama halten konnte. Ein schwarzer Präsident spricht über die „rassischen Ungleichgewichte“ in den USA, die Vorurteile, denen viele Afroamerikaner heute immer noch ausgesetzt sind — Erfahrungen, die er einst selbst gemacht hat. „Ich“ sagt er immer wieder, „das ist auch mir passiert“. Und schließlich: „Trayvon Martin, das hätte ich vor 35 Jahren sein können.“ Langjährige Beobachter in Washington sagen, dass sie selten einen Präsidenten erlebt haben, der derart persönlich geworden ist. Und selten einen, der nicht nur rhetorisch brilliert, wenn es um Wahlkampfreden geht, sondern auch beim Reflektieren.

Auch der Zeitpunkt seiner Äußerungen hätte kaum besser gewählt sein können. Sie kamen am Vorabend der bisher größten Demonstrationen im Fall Trayvon Martin. In mehr als 100 US-Städten von New York bis Los Angeles gingen am Samstag Menschen auf die Straße. Obama war offensichtlich darauf bedacht, aufgewühlte Gemüter zu beruhigen, die Diskussion in eine andere Richtung zu lenken — von Wut und Zorn über einen als Fehlurteil empfundenen Freispruch hin zu einem Dialog darüber, was noch immer faul ist in den USA.

Es war nicht das erste Mal, dass sich Obama zum Tod des schwarzen Teenagers Trayvon Martin (17) äußerte. „Trayvon — das könnte mein Sohn sein“, sagte er im Frühjahr vergangenen Jahres, als der Fall erstmals hohe Wellen schlug. Jetzt, am Freitag, wird er selbst zu Trayvon — ein Hinweis darauf, wie sehr ihn der Fall persönlich immer stärker aufgewühlt hat. Er habe nach dem Freispruch die Entwicklungen die ganze Woche über verfolgt, den wachsenden Zorn in der schwarzen Bevölkerung gesehen — und er habe selbst „Seelenforschung“ betrieben, schilderte die „New York Times“.

Dass er sich damit Tage Zeit ließ, hat seine Gründe. Es war ein Drahtseilakt. Tatsächlich hat sich Barack Obama im Amt bisher sichtlich stark um Zurückhaltung bemüht, wenn es um afroamerikanische Belange ging. Obama sei „stets bemüht, als Präsident aller Amerikaner rüberzukommen“, wie es ein Kommentator von CNN formulierte.

In jenen Passagen, in denen der Demokrat nicht als Schwarzer, sondern als Präsident der Vereinigten Staaten sprach, blieb er eher vage. Obama sprach die Regelung „Stand Your Ground“ (etwa: „Steh Deinen Mann“), die es im Bundesstaat Florida erlaubt, sich mit Waffengewalt gegen eine Bedrohung zu verteidigen, zwar an, vermied aber klare Worte: „Mir scheint, dass wir solche Gesetze untersuchen sollten.“