Ukraine droht die Staatspleite
Der Neuanfang wird von der bedrohlichen finanziellen Lage erschwert.
Kiew. Nach dem politischen Umsturz steht die Ukraine vor gewaltigen Problemen. Dem Land droht die Pleite, die neue Führung in Kiew braucht dringend Geld, um Schulden bedienen zu können. Ökonomen warnen vor Turbulenzen, sollte rechtzeitige Hilfe ausbleiben. USA und EU haben Unterstützung in Aussicht gestellt, doch sie wird an Auflagen gebunden sein. Fragen und Antworten:
Dem politisch und wirtschaftlich schwer angeschlagenen Land geht das Geld aus. Die Ukraine benötigt nach Angaben ihrer neuen Übergangsregierung 35 Milliarden US-Dollar (25,5 Milliarden Euro) an Finanzhilfen. Die Uhr tickt. Kiew schlägt eine internationale Geberkonferenz unter Beteiligung der EU, der USA und des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor.
Die politischen Spitzen der westlichen Welt haben Kiew auf dem Finanzminister-Gipfel der G20 in Sydney Hilfe in Aussicht gestellt. IWF-Chefin Christine Lagarde betonte, der Währungsfonds stünde grundsätzlich bereit. „Kurzfristig dürfte eine Pleite verhindert werden — wir gehen davon aus, dass es rasch Unterstützung durch die USA und die EU geben wird“, analysiert die US-Investmentbank Goldman Sachs.
Die Ukraine ist seit Jahren zwischen einer stärkeren wirtschaftlichen Anbindung an Westeuropa und seinen historischen Wurzeln nach Russland hin- und hergerissen. Auslöser der Proteste war nicht zuletzt die Absage des gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch, mit der EU ein Freihandelsabkommen einzugehen. Die Entscheidung brachte die Ukraine im letzten Jahr in noch höhere Abhängigkeit zu seinem wichtigsten Handelspartner Russland. Moskau sicherte Kiew Hilfskredite über 15 Milliarden US-Dollar zu. Im Zuge der politischen Turbulenzen wurden die Zahlungen jedoch gestoppt. Die Ukraine und Russland sind vor allem über das Gasgeschäft wirtschaftlich verbunden. Die Ukraine ist in hohem Maße auf Energie-Importe angewiesen.
Die Weltfinanzkrise traf auch die Ukraine hart. Der IWF mahnt überfällige wirtschaftliche Reformen an. Die Experten des Auswärtigen Amtes charakterisieren die Ukraine als eine Art Vetternwirtschaft: Nach dem Zusammenbruch der zentralistischen Planwirtschaft Anfang der 90er Jahre sei das Staatsvermögen privatisiert worden. Dadurch habe eine Gruppe von Oligarchen wirtschaftliche Macht erlangt. Der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft sieht den Wettbewerb in vielen Bereichen behindert.
Die Ukraine steuert 0,5 Prozent zur weltweiten Wirtschaftsleistung bei, obwohl sie nach Russland in Europa der größte Flächenstaat mit 45 Millionen Einwohnern ist. Auf dem Weltmarkt punktet sie vor allem mit Weizen, acht Prozent der globalen Exporte entfallen auf das Land. Deutschland ist für Kiew einer der bedeutendsten Handelspartner. Zudem ist die Ukraine eine geostrategisch wichtige Durchgangsstation für Energielieferungen in die EU. „Das größte direkte Risiko für Europa besteht in der Unsicherheit bei den Gaslieferungen“, sagt Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer. „Wenn die Ukraine die Durchleitung verweigerte, könnte nur die Hälfte über andere Pipelines umgeleitet werden.“