Ukraine verdrängt den Abhör-Skandal

Angela Merkel reist am Donnerstag in die USA. Das Kanzleramt hat die Hoffnung auf eine Einigung in der NSA-Affäre aufgegeben.

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Berlin. Reisen der Kanzlerin in die Vereinigten Staaten sind nichts Ungewöhnliches, und den US-Präsidenten trifft sie sowieso häufig. Barack Obama sah Angela Merkel erst Ende März in Den Haag. Dennoch galt der bevorstehende Besuch am 1. und 2. Mai in Washington wegen der NSA-Affäre lange Zeit als besonders heikel. Denn hier würde eine Politikerin kommen, die selbst von den Amerikanern ausgeforscht wurde. Ein „No-Spy-Abkommen“, also die Versicherung, sich gegenseitig nicht auszuspionieren, galt lange als Mindestergebnis des Besuches.

Tempi passati — alles vorbei. Die Amerikaner haben in Sachen Abkommen früh gemauert, aber versprochen, die Kanzlerin selbst nicht mehr abzuhören. Mehr ist offenbar nicht drin, und Berlin hat sich damit abgefunden. Deshalb regelte man den Empörungspegel seit Anfang des Jahres systematisch herunter.

Die Entscheidung über die brenzlige Frage, ob der Skandal-Enthüller Edward Snowden unter freiem Geleit vor dem deutschen NSA-Untersuchungsausschuss aussagen darf, wurde kunstvoll auf die Zeit nach der Kanzler-Visite vertagt. Und auch der Generalbundesanwalt wird erst später mitteilen, ob er Ermittlungen gegen die US-Verantwortlichen einleiten wird.

„Wir werden in Washington natürlich bei unseren Überzeugungen bleiben“, beteuert das Kanzleramt. „Es ist aber nicht damit zu rechnen, dass die Problematik in irgendeiner Weise gelöst werden kann.“ Mit anderen Worten: Man kuscht. Wenn auch unter Protest.

Allerdings wird das Thema sowieso von der Ukraine-Krise überlagert, die so wenigstens für das deutsch-amerikanische Verhältnis etwas Gutes hat. Vier Stunden wird Angela Merkel im Weißen Haus mit Obama zusammen sitzen, aus Berliner Sicht eine „außergewöhnliche Geste“.

Die USA und Europa stimmen sich eng ab — das müssen sie auch, denn zum Beispiel bei den Sanktionen möchten viele in Amerika gerne härter ran. Während die Europäer, die die wirtschaftlichen Folgen stärker zu tragen haben, vorsichtiger sind und ihre Dialogbereitschaft mit Präsident Putin betonen.

Erörtert wird werden, wie man die Russen dazu bewegen kann, das Genfer Abkommen zur Entwaffnung der separatistischen Gruppen in der Ostukraine einzuhalten. Bisher, so die Berliner Einschätzung, hat Moskau dafür „nichts“ getan. Merkel und Obama werden also die nächsten Drohkulissen aufbauen.

Die russisch sprechende Kanzlerin ist derzeit der wichtigste Gesprächspartner Putins im Westen, mitunter sogar der einzige. Erst am Freitag haben beide miteinander telefoniert. Merkel kommt aus US-Sicht die europäische Führungsrolle in diesem Konflikt zu. Merkel trifft in Washington außerdem IWF-Chefin Christine Lagarde.

In diesem Gespräch geht es auch um die Gasschulden der Ukraine, bei deren Begleichung der IWF helfen soll. Man dürfe, heißt es im Umfeld der Kanzlerin, den Russen keinerlei Vorwände liefern. Allerdings hat Gazprom die Höhe der ausstehenden Rechnungen immer weiter angehoben, zuletzt auf 2,5 Milliarden Euro.

Unter anderem mit der Begründung: Weil die Krim nicht mehr zur Ukraine gehöre, entfalle der wegen der Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte bisher gewährte Rabatt. „Das zeigt den ganzen Zynismus der russischen Forderungen“, heißt es im Kanzleramt.