Warnungen vor völliger Isolation Großbritanniens

Berlin/London (dpa) - Als Reaktion auf den Gipfel-Streit mit Premierminister David Cameron warnen deutsche Politiker parteiübergreifend vor einer völligen Isolation Großbritanniens.

Bundespräsident Christian Wulff sagte als Reaktion auf das Zerwürfnis beim Brüsseler Euro-Gipfel: „Wir sollten wissen, was Europa bedeutet und nie darüber spekulieren, Europa zu verkleinern.“ Die Beziehungen Deutschlands zu Frankreich, Italien und auch England seien „tragende Säulen in der EU“, sagte Wulff während eines Besuches in der omanischen Hauptstadt Maskat. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) werde den Gesprächsfaden zu Cameron nicht abreißen lassen.

Cameron, der in Brüssel auf weitreichenden Forderungen beharrt und damit eine EU-Vertragsreform blockiert hatte, steht nun auch in seiner Regierung unter Druck. Vize-Premierminister und Liberaldemokraten-Chef Nick Clegg kritisierte Cameron am Sonntag offen. „Ich bin über die Ergebnisse des Gipfels von letzter Woche bitter enttäuscht“, sagte er der BBC. „Ich fürchte, es besteht nun die Gefahr, dass Großbritannien innerhalb der Europäischen Union isoliert und an den Rand gedrängt wird.“

Die europafreundlichen Liberaldemokraten bilden zusammen mit Camerons konservativen Tories die Regierung in London. Sie hatten bei den Koalitionsverhandlungen gegen die Anti-Europa-Haltung einiger Tories gekämpft. Clegg erklärte, er habe nach den Verhandlungen in Brüssel am frühen Morgen mit dem Premier gesprochen: „Ich habe ihm gesagt, dass das schlecht ist für das Land.“ Er werde nun alles tun, dass aus „diesem Rückschritt keine dauerhafte Trennung wird“, erklärte Clegg.

Schatzkanzler George Osborne nahm Cameron dagegen in Schutz. Durch die Blockadehaltung in Brüssel habe dieser sichergestellt, dass die Krise des Euro Länder ohne die Einheitswährung nicht mitziehen könne, sagte er der BBC. Cameron habe die Finanzdienstleistungsbranche geschützt und gleichzeitig dafür gesorgt, dass britische Firmen weiterhin ihre Produkte in Europa verkaufen könnten. Er fügte hinzu: „Ich glaube, die Menschen sind einfach froh, dass ein britischer Premierminister genau das gemacht hat, was er versprochen hat.“

DGB-Chef Michael Sommer warf Cameron im Deutschlandfunk vor, sich „als der Schutzpatron der Spekulanten“ aufzuführen und alle möglichen notwendigen Maßnahmen im Bereich der Finanzmarktregulierung seit Jahren zu verhindern. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble solle Großbritannien die Frage stellen: „Wollt ihr Teil Europas sein oder 52. Bundesstaat der USA?“, sagte Sommer.

Gegen Spekulationen über ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU wandte sich Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP). „Großbritannien braucht Europa genau wie Europa Großbritannien braucht. Dort wird man über kurz oder lang erkennen, dass unser Weg in Richtung Stabilitätsunion der beste ist. Die Tür für London bleibt offen“, sagte Rösler der „Bild am Sonntag“. Er lobte die Entscheidungen der übrigen EU-Staaten: „26 von 27 Mitgliedstaaten haben gezeigt, dass sie bereit sind, die europäische Integration und den Euro zu verteidigen.“

Finanzminister Schäuble äußerte in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ die Hoffnung, dass sich Großbritannien daran doch noch beteiligen wird. „Die Tür für Großbritannien bleibt offen“, sagte er. „Ich hoffe, dass die Briten die offene Tür durchschreiten werden.“

Dass Großbritannien im Kampf gegen die Schuldenkrise nicht mitmachen wolle, sei bedauerlich, sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Aber eine Lockerung der Regeln für die Banken für eine Zustimmung zur neuen Stabilitätskultur zu fordern, habe abgelehnt werden müssen: „Auch die heutige Krise hat letztlich ihre Wurzeln im Casino-Kapitalismus, der 2008 zur Banken-und Wirtschaftskrise führte. Dieser Casino-Kapitalismus darf sich nicht wieder breitmachen“, sagte Kauder der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

SPD-Europapolitiker Martin Schulz erklärte, Cameron isoliere sein Land „in dramatischer Weise. Das finde ich traurig“, fügte er hinzu. Ein Austritt Großbritanniens aus der EU sei aber nicht wünschenswert. CSU-Chef Horst Seehofer hält es nach Äußerungen in der „Welt am Sonntag“ für möglich, dass Großbritannien doch noch dem neuen EU-Stabilitätsvertrag beitritt: „Die Tür bleibt für jeden offen, der vielleicht noch zögert.“