Barack Obamas erster großer Sieg
Der US-Präsident setzt eine gesetzliche Krankenversicherung durch. Doch er könnte dafür noch die Quittung bekommen.
Washington. Mit der Verabschiedung einer historischen Gesundheitsreform, die 32 Millionen unversicherten Amerikanern eine Krankenversorgung garantieren soll, feiert US-Präsident Barack Obama den wichtigsten innenpolitischen Sieg seit seinem Amtsantritt. Doch der hauchdünne Abstimmungserfolg im Repräsentantenhaus könnte einen hohen Preis haben. Denn eine Mehrheit der Amerikaner lehnt die Jahrhundertreform ab. Bei den im November stattfindenden Kongresswahlen könnten die Demokraten die Quittung präsentiert bekommen.
Mehr als zehn Stunden diskutierten und stritten die 438Abgeordneten am Sonntag im Repräsentantenhaus. Es kam zu Buhrufen und wüsten Anschuldigungen seitens der Republikaner, die über eine "Verstaatlichung des amerikanischen Gesundheitssystems" und den "drohenden Sozialismus" schimpften.
Auch konservativere Demokraten zauderten und waren erst umzustimmen, nachdem Obama versprach, staatlich finanzierte Abtreibungen aus dem Gesetz streichen zu lassen.
Erst am späten Abend konnten sich die sichtlich erschöpften Politiker zu einem Konsens durchringen, und kurz vor Mitternacht stand das historische Ergebnis fest: 219 Abgeordnete hatten für die deutlich abgeschwächte Fassung der Gesundheitsreform gestimmt, 212 dagegen. Nicht ein einziger Republikaner unterstützte das Gesetzeswerk. Sogar 34Demokraten kehrten Obama den Rücken.
Zwar stellt das Gesetz in seiner jetzigen Fassung eine deutlich abgeschwächte Version des vom Weißen Haus ursprünglich vorgelegten Entwurfs dar. Insbesondere fehlt Obamas Kernforderung nach einer staatlichen Pflichtversicherung, die mit privaten Anbietern konkurriert. Republikaner hatten ebenso wie Lobbyisten der Gesundheitsindustrie erfolgreich argumentiert, dass eine mit Steuergeldern subventionierte Pflichtversicherung die Prämien so weit drücken könnte, dass private Versicherungsunternehmen an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen würden und nicht mehr kostendeckend arbeiten könnten.
Im Mittelpunkt steht stattdessen die Einführung von Versicherungsbörsen, die von den einzelnen US-Staaten verwaltet werden. Dort sollen Familien, die nicht durch einen Arbeitgeber abgesichert sind, ebenso wie Klein- und Mittelbetriebe zwischen konkurrierenden Angeboten die beste Police zum günstigsten Preis aussuchen können.
Für sozial Schwache sind staatliche Subventionen zur Zahlung ihrer Prämie vorgesehen. Auch würde das Gesetz eine allgemeine Versicherungspflicht einführen. Wer sich weigert, eine Krankenversicherung abzuschließen, müsste eine Geldstrafe zahlen. Zudem wären Unternehmen mit mehr als 50Angestellten gezwungen, ihre Mitarbeiter zu versichern.
Finanziert werden soll die Reform zum einen durch umfangreiche Einsparungen bei Medicare, der staatlichen Krankenversorgung für Rentner. Zum anderen würde der Staat Besserverdienende über eine höhere Krankenversicherungssteuer stärker zur Kasse bitten. Zusätzliche Einnahmen würden von Geldstrafen kommen, die gegen Unversicherte sowie Unternehmen verhängt werden.
Führende Republikaner warnten vor gravierenden politischen Konsequenzen für Obama und die Regierungspartei, die bei den anstehenden Kongresswahlen einen Bumerang-Effekt erleben könnten. "In einer Demokratie kann man den Willen der Wähler nicht ignorieren, ohne die Folgen zu erleiden", erklärte John Boehner, der republikanische Fraktionschef im Repräsentantenhaus.
Mit dem Abstimmungserfolg in der Tasche will der US-Präsident nun selbst auf PR-Tournee gehen, um die Wähler aufzuklären und rechtzeitig bis zur Kongresswahl die verärgerte Bevölkerung noch umzustimmen.
Hut ab! Barack Obama war einst als völliger Außenseiter angetreten,der während des Präsidentschaftswahlkampfs extrem hohe Hürden nehmenmusste, um als erster Afro-Amerikaner das höchste Amt im Lande zuerobern. Damals konnte niemand ahnen, dass seine eigentlicheBewährungsprobe noch aussteht.
Doch mit der Verabschiedung der Jahrhundertreform zur Umkrempelungdes amerikanischen Gesundheitssystems ist Obama sein bishereindrucksvollster Erfolg gelungen. Der Präsident kämpfte unermüdlichgegen übermächtige Industrie-Lobbyisten sowie eine geschlossene Frontwiderspenstiger Republikaner.
So gesehen ist es kaum verwunderlich, dass sich die Regierung zuKompromissen breitschlagen ließ. Eine staatliche Pflichtversicherunggibt es also nicht, dafür aber eine allgemeine Versicherungspflicht.Dass nämlich jeder sechste Amerikaner nicht abgesichert ist, war fürObama ein moralisch und sozialpolitisch unverantwortlicher Zustand, dener unbedingt beenden wollte - selbst um den hohen Preis einerWahlniederlage. Es war ein Kampf aus Überzeugung und ein Sieg derPrinzipien.