Berlin setzt ein Zeichen gegen Judenhass
10 000 Menschen strömen am Brandenburger Tor zusammen. Merkel: Kampf gegen Antisemitismus ist staatliche Pflicht.
Berlin. Fast sechs Wochen hat es nach dem Anschlag auf die Wuppertaler Synagoge und nach den antijüdischen Sprechchören bei Pro-Hamas-Demonstrationen gedauert, ehe an diesem Sonntag eine Reaktion erfolgt. Und der Zentralrat der Juden muss selbst dazu aufrufen, anders als noch im Jahr 2000, als Regierung und Verbände den „Aufstand der Anständigen“ verkündeten und 200 000 Menschen zusammenströmten. Dennoch wird die Veranstaltung vor dem Brandenburger Tor ein Erfolg.
Fast die gesamte Staatsspitze ist erschienen, Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Joachim Gauck, sein Vorgänger Christian Wulff, ein Großteil des Kabinetts, die Partei- und Fraktionsvorsitzenden, viele Honoratioren. Das ist eine Demonstration in der Demonstration. Merkel erklärt „im Namen der gesamten Bundesregierung“, dass sie jede Form von Judenfeindlichkeit auf das Schärfste verurteile. „Der Kampf gegen Antisemitismus ist unsere staatliche und bürgerschaftliche Pflicht“. Sie bekommt großen Beifall.
Ähnlich stark ist er für Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der sagt: „Wir lassen nicht zu, dass dieses Gift unsere Gesellschaft durchzieht. Wir wollen hier ein Zeichen setzen, dass unser Land für alle da ist.“
Diese Bekenntnisse freilich sind schon eine Reaktion auf die deutliche Kritik, die der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, zuvor in seiner Rede geäußert hat. Graumann beklagt nämlich, dass sich kaum jemand über die aus seiner Sicht „schlimmsten antisemitischen Ausschreitungen seit Jahrzehnten“ aufgeregt hat. „Ein bisschen mehr Empathie hätten wir uns schon gewünscht“. Von dieser Kritik getroffen fühlen sich sichtlich auch die Kirchen.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, bekennt, dass es ein Fehler gewesen sei, den Zentralrat der Juden mit der Demonstration allein zu lassen und räumt auch ein, dass das Christentum in seiner zweitausendjährigen Geschichte „Mitschuld“ am Antisemitismus trage. Der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, spricht ebenfalls von einer „wechselhaften Geschichte“ der Kirche im Verhältnis zum Judentum. „Aber jetzt gilt für uns endgültig und unwiderruflich: Wir sind Ihre Freunde, wir stehen zusammen“. Für Graumann sind solche Aussagen ein wichtiges Ergebnis dieser Demonstration. „Das gibt uns das Gefühl: Wir sind eben doch nicht alleine“, sagt er.
Zu diesem Gefühl trägt auch bei, dass die Kundgebung deutlich stärker besucht ist als erwartet. Mit 1000, vielleicht 5000 Besuchern hatte man gerechnet, mehr als 10 000 sind es am Ende geworden.